Das Einzige, was mich an meinem Mann gestört hat, ist sein Wissen. Egal wonach Sie ihn fragen, er weiß alles. Da fühlt man sich manchmal ganz klein." Aus Liebe war Flor del Carmen Sepulveda Rodriguez 1968, mit 22 Jahren, aus Südchile in die Hauptstadt Santiago übersiedelt: Sie heiratete Jorge Fuentes, der in unserer Serie das Jahr 1977 vertreten hat. Jorge, hochaktiver Gewerkschafter, konnte sie nie für Politik interessieren. Für sie bedeutete sein Engagement vor allem eines: "Er war zu wenig zu Hause." Als er ein paar Monate nach dem Militärputsch von 1973 vom Arbeitsplatz weg verhaftet wurde, zog Sepulveda (Fuentes heißt sie erst durch das österreichische Namensrecht) sofort los, um ihn zu suchen. In einer Polizeistation wurde sie fündig, sprechen durfte sie ihn nicht. Am nächsten Tag war er verschwunden; der Frau wurde jegliche Auskunft verweigert. Eine Woche lang klapperte sie Gefangenenlager und Wachstuben ab: vergebens. "Ich glaube, diese Tage waren für meinen Mann weniger schlimm als für mich. Ich wusste nicht einmal, ob er noch lebt." Erst ganz zuletzt fragte sie im Zentralgefängnis, wo sie nur gewöhnliche Verbrecher vermutete: "In einer halben Stunde", hieß die Antwort, "wird er durch dieses Tor hinausgehen." Briefchen versteckt "Ich musste mich beim Warten anhalten", erzählt sie. Von Soldaten mit MPs wurden Gefangene, mit Ketten gefesselt, zu einem Arrestantenwagen geführt. "Mein Mann war dabei, ganz blass." Die Frau lief dem Auto nach, bis sie nicht mehr konnte: Wieder schien die Spur des Mannes verloren. Aber er kehrte am selben Abend in die Haftanstalt zurück. Fast täglich holte sie seine Wäsche - in der er kleine Briefchen versteckte. Sie hat bis heute alle aufgehoben. Nach Jorges Freilassung begann ein "schrecklicher Nervenkrieg". Soldaten, die sich - mit der MP im Anschlag - "zufällig" in der Tür irrten; Drohbriefe; Druck auf den Pfarrer, in dessen Gemeinde das Ehepaar aktiv war. Carmen überredete ihren Mann zur Flucht. Um seinen Flug nach Österreich zu bezahlen, mussten sie ihre zusammengesparte Wohnungseinrichtung verkaufen. Carmen blieb mit der Tochter vorerst bei den Geschwistern im Süden, die sie mit Mühe durchfütterten. Einen Monat lebten sie nur von Kartoffeln und roten Rüben. Im April 1978, nach einem halben Jahr, konnten sie endlich auf UNHCR-Kosten nachkommen. In Österreich setzte Carmen Fuentes bei ihrem Mann durch, dass sie arbeiten durfte: Sie ist, mit Begeisterung und Erfolg, Krankenschwester in einem Altenpflegeheim. (Robert Schlesinger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.11.2000)