Wien - "Die letzten Wahlen in Bosnien-Herzegowina waren ein klarer Schritt zurück. Ich bin nicht optimistisch für die Zukunft meines
Landes." Das hat der bosnische Außenminister Jadranko Prlic am Mittwochabend in Wien bei einem Vortrag im Haus der Industrie über die
aktuelle Entwicklung am Balkan gesagt. "Mein Land hat auf längere Sicht die letzte Möglichkeit versäumt, auf schnellem Wege nach Europa
zu gelangen." Die jüngsten Wahlen hatten trotz großer Erwartungen in eine schnelle Demokratisierung des Landes keine Abkehr von
nationalistischen Tendenzen gebracht.
Europäisierung "eine Frage des Überlebens"
Prlic sieht nun den Europäisierungsprozess durch die Wahlen "eingebremst". Nur eine möglichst rasche und intensive Bindung Bosniens an
Europa könne aber das wirtschaftliche Überleben des Landes sicherstellen. "Die Europäisierung ist nicht eine Frage der freien Wahl, sondern
einzig und allein eine Frage des Überlebens", betonte der bosnische Außenminister. Nur als integrierter Bestandteil Europas könne man
wirtschaftlich und politisch überleben.
Die weitere wirtschaftliche Entwicklung seines Landes sei aufgrund der Wahlen nun ernsthaft gefährdet, sagte Prlic. "Wer will schon in einem
Land investieren, in dem es keinen stabilen Frieden und keine eindeutigen, dynamischen Demokratisierungstendenzen gibt?", fragte Prlic.
Bosnien habe sich aber bereits vor den Wahlen in einer schwierigen Situation befunden, die der Wirtschaftsprofessor so darstellte: "Im besten
Fall werden wir noch sechs bis sieben Jahre brauchen, um jenes Wirtschaftsniveau zu erreichen, das wir vor dem Krieg bereits hatten. Wir
haben also fast eine Generation verloren. Bis dahin könnte der europäische Zug aber schon abgefahren sein."
Appell an die EU
Prlic appellierte daher an die EU-Staaten, Bedingungen zu schaffen, um einen sinnvollen wirtschaftlichen Aufholprozess in der Balkanregion zu
ermöglichen. "So wie sich Europa zur Zeit entwickelt, handelt es sich aber um eine asymmetrische Integration." Ein Europa der verschiedenen
Standards und Geschwindigkeiten könne durchaus zu weiteren Krisen führen, vor allem am Balkan, wo der Friede längst nicht so
vollkommen sei, wie er allgemein wahrgenommen werde.
Zum Zagreber EU-Gipfel vom 24. November sagte Prlic, dass er "mit Sicherheit ein Erfolg gewesen sei", dennoch gelte es "weiterzumachen,
denn es war eben nur ein Meeting", nun müssten auf die Worte Taten folgen. Europa müsse sein bekundetes Interesse an Südost-Europa
umsetzen, forderte Prlic.
Der 41-jährige Prlic ist seit 1996 Außenminister von Bosnien-Herzegowina. Der gebürtige Kroate war Anfang September aus der
nationalistischen Kroaten-Partei HDZ BiH, einem Ableger der kroatischen HDZ, ausgetreten, da sie in seinen Augen "unfähig zur
Modernisierung und Demokratisierung" sei. (APA)