Neuschnee überzieht die Eisdecke der Arktis vor der Küste von Great Baffin Island und verwandelt die Frobisher Bay in eine schillernde Wüste in Weiß. Jede Unebenheit, jede Spalte zwischen den eisigen Flächen ist unter der strahlend hellen Tarnkappe verborgen. Immer wieder schaukelt der Hundeschlitten, rutscht in Schräglage über die Seiten der von Wind und Wetter modellierten Gräben im Eis. Immer wieder schaufeln die Huskies beim Antritt mit den Hinterbeinen Schnee in den Schlitten. Die neun kräftigen Tiere halten Kurs, und Meeka Mike gibt den Ton an.

Die schmächtige Inuk-Frau mit dem pechschwarzen Zopf ist seit ihrem achten Lebensjahr mit Hundeschlitten unterwegs. Damals hat sie ihren Vater das erste Mal zur Eisbärenjagd bis hinaus an die Packeisgrenze begleitet. Als Eskimo mögen sich die Ureinwohner nicht bezeichnen lassen. In ihrer Sprache bedeutet das Fischfresser. Sie selber nennen sich Inuit, Menschen bzw. Inuk, Mensch. Die 32-jährige ist auf Great Baffin Island geboren und kennt alle Tricks, um in der eisigen Wildnis der kanadischen Arktis zu überleben. Meeka hat sich in der Hoffnung auf einen Tourismusboom im äußersten Norden mit einer kleinen Firma selbständig gemacht. Sie organisiert Hunde- oder Motorschlitten-Touren übers Eis, bei denen die Gäste auf Wunsch sogar in Iglus übernachten können. "Die Bauarbeiten dauern weniger als eine Stunde - wenn man die Handgriffe beherrscht", erklärt sie.

Nur während des kurzen Sommers können Schiffe Iqaluit auf Great Baffin Island anlaufen und die nötigen Versorgungsgüter für die 5000 Einwohner-Stadt bringen. Von Mitte Oktober bis in den Juli hinein ist der Ozean zugefroren und Iqaluit nur noch auf dem Luftweg zu erreichen. Die durchschnittliche Tagestemperatur im Januar, dem kältesten Monat, liegt bei minus 29,7 Grad Celsius.

Der Atem der neun kräftigen Hunde dampft in den kühlen Morgen. Die knappen Kommandos von Meeka Mike scheinen unmittelbar vor ihrem Gesicht zu gefrieren und wie in einer Comic-Sprechblase für Sekunden in der Eiseskälte zu verharren, um dann klirrend zu Boden zu krachen. Meeka ist wortkarg: Wenige Befehle müssen den Hunden genügen, dazu Schnalzen und Geräusche, die tief unten im Hals geformt werden und wie ein mattes Grunzen klingen. Ein Jahr lang hat Meeka in Toronto "unten im Süden" gelebt. "Zu warm, zu hektisch, zu wenig Natur", fasst sie die Gründe für die Rückkehr zusammen. In der von den Inuit seit 1999 selbstverwalteten kanadischen Provinz Nunavut ist das anders. Die Region im äußersten Norden des Kontinents umfasst die einstigen Siedlungsgebiete der Ureinwohner und ist mehr als 22mal so groß wie Österreich - mit einem Asphalt-Straßennetz von weniger als 30 Kilometern Länge.

Die kräftigen Huskies toben umher und springen aus dem Stand

mit allen Vieren gleichzeitig in die Höhe, wenn Meeka sie von ihren Ketten losmacht und ins Geschirr nimmt. Nur Leithündin Natsiq bellt nicht, zerrt nicht, sondern blickt aus ihren stahlblauen Augen reglos Frauchen an und wartet auf das nächste Kommando, auf eine Geste. Meeka und ihre Leithündin sind ein eingespieltes Team. Natsiq ist die einzige, mit der Meeka mal kuschelt, die sie freundschaftlich klopft und streichelt.

In der Arktis werden die Huskies als reine Nutztiere betrachtet und hart herangenommen. Im Ernstfall müssen sie in der Lage sein, angreifende Eisbären in die Flucht zu schlagen. Die Peitsche gehört zur Ausrüstung eines Schlittenführers - nicht, um damit auf die Fellgesellen einzudreschen, sondern um links und rechts der Hunde aufs Eis zu schlagen. Die Peitsche ist so das Steuer. Die Huskies der Inuit leben ganzjährig im Freien. Ställe gibt es nicht, Hundedecken auch nicht. Den Winter verbringen sie an langen Metallketten, die ein paar Kilometer außerhalb der Orte auf dem Eis verankert sind, den kurzen Sommer am felsigen Ufer der Fjorde. Zweimal am Tag kommt der Besitzer und serviert den Kraftpaketen rohes Karibu-, Walross- und Robbenfleisch. Nur trächtige Hündinnen und Welpen dürfen kurz ins Haus. Wären sie die längste Zeit des Tages im Warmen, würde ihr Fell nicht so dicht werden, wie es für das Überleben am Polarkreis notwendig ist. Ansonsten darf nur der Leithund mit aufs heimatliche Grundstück. Er muss auf den Schlittenführer geprägt werden.

Eisig bläst den Passagieren der Fahrtwind ins Gesicht, während am Horizont die weißen Küstenberge von Great Baffin Island vorbei rauschen. In der Nähe der Ufer türmen sich von der Natur modellierte Packeisberge, als wären die ausrollenden Wellen des arktischen Ozeans von einer Minute auf die andere steifgefroren. Ebbe und Flut unterm Eis erschaffen die Skulpturen. Die Hunde traben gleichmäßig und zügig voran. Karibu-Herden nehmen reißaus, in der Ferne verschwinden Robben, die eben noch im Schnee gelegen haben, in ihren Eislöchern. Immer wieder springt Meeka ab, schiebt den Schlitten an, hilft ihren Hunden bei der harten Arbeit. Manchmal läuft sie kurz daneben her, taucht eine Tasse in den Schnee, wärmt sie mit den Händen und trinkt das Eiswasser. "Du kannst nirgends ein reineres Getränk bekommen", sagt sie.

Nur wenig später haben auch alle Schlitten-Neulinge begriffen, dass es gut tut, immer wieder ein paar Schritte neben dem Schlitten her zu joggen und Zehen und Finger in Bewegung zu halten. Ihr Lächeln ist aber mittlerweile erstarrt, einfach festgefroren.(Der Standard, Printausgabe) Infos: von Montreal aus täglich Anschluss mit First Air nach Iqaluit. Meeka Mike, c/o Qimuk Adventure Tours, P.O.Box 797, Iqaluit, Nunavut X0A 0H0,
Tel. 001 / 867 / 9792777, Fax 9791554; pooka.nunanet.com
Kanada Tourismus Programm Tel. 0049/6181/45178