Wien - Der aktuelle Gewaltausbruch zwischen Israelis und Palästinensern bleibt, trotz seines religiösen Auslösers - des Besuchs von Likud-Führer Ariel Sharon auf dem Tempelberg - ein nationalistischer Konflikt, wobei jedoch religiöse Argumente von beiden Seiten immer öfter benützt werden. In Wien fand diese Woche eine von dem Österreichischen Institut für Internationale Politik organisierte Konferenz zum Thema "Islam, Judentum und die politische Rolle von Religionen im Nahen Osten" statt. Die deutsche Historikerin Helga Baumgarten, an der palästinensischen Universität Bir Zeit in Ramallah tätig, meint in einem Gespräch mit dem STANDARD, dass das Überstülpen von religiösen Konzepten in dem aktuellen Konflikt keine Endgültigkeit besitzt. Begriffe austauschbar Baumgarten: "Zumindest sehe ich in beiden Gesellschaften eine Mehrheit, die primär den politischen Konflikt betont. Auf der palästinensischen Seite werden die Ideen der al-Aksa-Intifada (in der es um die heiligen islamischen Stätten geht) und der Intifada al-Istiklal (Unabhängigkeitsaufstand) austauschbar benützt." Baumgarten konstatiert besorgt das Phänomen des vom französischen Soziologen Maxim Rodinson beschriebenen "Kriegsrassismus". "Was sich an der Oberfläche manifestiert, ist gegenseitiger Hass." Es sei auch sehr symbolisch, dass zum ersten Mal in langen Jahren des Konfliktes plötzlich die Sprache umgekippt sei und die Palästinenser nicht mehr von "Israelis", sondern von "Juden" sprechen. "Kriegsrassismus" "Das zeigt sehr deutlich, was da passiert ist", so Baumgarten, die deshalb neue israelische Angebote für dringend notwendig hält. Diese rassistische Kategorisierung verschwindet laut Rodinson in dem Moment, in dem der Konflikt gelöst ist. "Wir befinden uns momentan in der Phase, in der dieser Kriegsrassismus dominant ist." Laut Baumgarten ruft die jetzige Lage bei beiden Seiten tiefen Pessimismus hervor, vor allem im Vergleich zum Optimismus, der nach 1993 in Folge des Osloer Abkommens aufkam. "Auf der palästinensischen Seite ist der Eindruck entstanden, dass Oslo ein riesiger Betrug war" - dass man mit diesem Abkommen die Palästinenser nur geködert habe, um sie friedlich zu stimmen, aber gleichzeitig habe die israelische Seite die Siedlungen weiter ausgebaut, weiter Land enteignet und die palästinensische Bevölkerung weiter unterdrückt. Ein zusätzlicher Anlass für Pessimismus ist die Regierungskrise in Israel. Mehr und mehr Leute auf beiden Seiten, sagt Baumgarten, würden stark unter Angst leiden: Es sei völlig unklar, was bis zum vorgesehenen israelischen Wahltermin im Mai - in einer Zeitspanne, die absolut entscheidend für die Zukunft im Nahen Osten sei - noch alles passieren könne. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.12.2000)