Wien - Draußen schneit es. Im Schaufenster herrscht hingegen wohlige Wärme, die Christbaumkerzen leuchten, ein Ehepaar sitzt sozusagen Modell, mit dem lächelnden Nachwuchs am Schoß. Der Betrachter dieser Szenerie teilt sich mit dem Publikum die Perspektive - er steht, ein Alter Ego des Mannes hinter dem Glas, im Kalten, und die Vitrine vor seiner Nase gibt sich als Wunschprojektion preis. Das aufrichtigste Bild von Family Man gehört damit gar nicht zum Film; es ziert bloß sein Plakat. Die Differenz, um die es in dieser herzensguten Weihnachtsmär geht, wird am Blick eines Konsumenten festgemacht: die Familienidylle, eine Fiktion, an der nur die Preisschilder fehlen. Charles Dickens A Christmas Carol liefert die Moral, Frank Capras Filmklassiker für den Heiligen Abend, It's a Wonderful Life , hat wohl beim Drehbuch Pate gestanden: Nicolas Cage ist der abgebrühte Banker Jack Campbell, der keine Zeit für Weihnachten hat und alles bereits zu besitzen glaubt. Ein Kleinkrimineller (Don Cheadle), der sich als engelhaftes Wesen entpuppt, weckt in Campbell jedoch ein altes Begehren, indem er ihm Einblick in ein anderes, ehemals mögliches Leben gewährt: Vor dreizehn Jahren verließ er nämlich seine College-Liebe, um Kapitalist zu werden. James Stewarts traumatischer Blick auf eine Welt, in der er nicht existiert, wird in Family Man gleichsam ins Positive (und vorerst Komische) gewendet: Campbell wacht im Schoße (s)einer Familie auf, ohne jedoch die Erinnerung an sein vorheriges Leben zu verlieren. Statt des Ferraris steht ein Mini-Van vorm Haus in der Suburbia, im Schrank hängen die aberwitzigsten Anzüge, und die Wall Street ist einem Autoreifengeschäft gewichen. Panisch drückt er erst einmal die Fahrradklingel - das Einzige, das ihm der Engel mitgegeben hat. In der ersten Phase dieses unfreiwilligen Trips in die Mittelklasse muss Campbell einfach den Alltag meistern, und diese Bewährungsprobe vermitteln Cage und Regisseur Brett Ratner ( Rush Hour ) noch am souveränsten. Das eigentlich Vertraute wird als das Fremde wahrgenommen - das Bowling-Spiel, das Windelnwechseln, der eheliche Liebesakt -, wobei die Diskrepanz vor allem in der Darstellung sichtbar wird: Angesichts des niederschmetternden Charmes von Ehefrau Téa Leoni verdrängt Campbell die Vergangenheit und man selbst das humanistische Pathos. Aber Halt! Letztlich muss Family Man Werte festigen und ein plakativer Lebensentwurf somit den anderen übertrumpfen: Diese Falle, die schon zu Beginn des Films gestellt wird, schnappt zuletzt unerbittlich zu. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20. 12. 2000)