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Halten wir inne, betrachten wir die Städte, Dörfer, Siedlungen, in denen wir wohnen. Sie sind im vergangenen Jahr nicht schöner geworden. Wohnsilos sind da entstanden, Fabrikshallen dort. An den Stadträndern wuchern Einkaufszentren, in den innerstädtischen Baulücken klotzen Betonburgen. Die Bauindustrie verändert die Landschaft, das Neue entsteht rasch und unüberlegt, es ist oft hässlich, unfreundlich und schon vor seiner Geburt tot wie ein reguliertes Gebirgsbächlein. Schuld daran - und da ist die Volkesmeinung traut und einig - sind natürlich die Architekten. Die würden schließlich den ganzen Mist in die Gegend stellen und sich daran noch dumm und dämlich verdienen. Kein Vorurteil sitzt tiefer, keines ist dümmer und dämlicher. Kaum ein Berufsstand ist derart misskreditiert wie der des Architekten, ausgenommen zur Zeit vielleicht die Branche der Tiermehlproduzenten. Tatsächlich ist die fortschreitende Verhüttelung und Verunstaltung der Gegend nichts anderes als der Ausdruck einer kollektiven Unkultur, die in der selbstdeklarierten Kunst- und Kulturnation Österreich allerorten Raum greift. Schuld daran sind, wenn schon, wir alle. Die Architektur eines Landes ist stets der Spiegel der Gesellschaft, die sie hervorbringt, und Österreich, als eines der reichsten Länder der Welt, ist im Gegensatz zu anderen Nationen, wie etwa Holland, meistenteils unfähig, mit seinem kostbarsten Gut Ort, Raum, Landschaft gezielt und sinnvoll zu haushalten, geschweige denn sich seiner vielen hervorragenden, international immer wieder hochdekorierten Architekten in einer anständigen Weise zu bedienen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Gute Architektur, und hier befinden wir uns schon an der Wurzel des Übels, ist kein politisches Anliegen mehr. Der erste und fürchterlichste natürliche Feind des Architekten ist der Bürgermeister, sozusagen als der kleinste politische Nenner. Der Gemeindehäuptling zieht als oberste Bauinstanz die Fäden, und, wie es bei Politikern so ist, laufen die so gut wie immer als feines, undurchsichtiges Gespinst über Wirtshaustische, durch Stadtkoalitionsverhandlungen, durch Wahlkämpfe und Freundschaftsbeziehungen. Wer glaubt, bei Vergaben würde alles meistens im Dienste des Volkes eh mit rechten Dingen zugehen, ist ein armer Tor, und die Abscheulichkeiten des Landes spotten seiner Hohn. Warum wohl wachsen immer noch Einfamilienhüttchen im Grünland wie die Schwammerl und müssen um Milliardensummen an die öffentlichen Versorgungsnetze angeschlossen werden, während sinnvoller Bauplätze veröden? Warum entstehen immer noch völlig uninspirierte kommunale Wohnburgen, die überhaupt nicht auf der Höhe ihrer Zeit sind? Warum finden Architektenwettbewerbe nur dann statt, wenn sie sich gar nicht mehr vermeiden lassen? Und wie oft wird das Resultat bis zur Unkenntlichkeit hingebügelt, immer von Leuten, die keine Ahnung haben? Etwa 400 Milliarden Schilling beträgt hierzulande das gesamte jährliche Bauvolumen, nur ein geringer Prozentsatz davon wird tatsächlich von der ordnenden Hand der Architektur betreut. Vieles entsteht auf den Zeichentischfließbändern großer Bauunternehmen, wo Profit und Umsatzplus und die amikalen Verflechtungen mit der lokalen Politik so haushoch im Vordergrund stehen, dass die Aussicht auf Qualität und Sorgfalt im Umgang mit Raum, Licht, Lebensfreude mit rasch hochgezogenen Bunkern auf ewig verstellt wird. An der Planung kann am einfachsten gespart werden, doch nur das ganz genaue, immer wieder hinterfragte Nachdenken über ein Haus, seine Benutzer, die Bewohner, die Umgebung, in der es einmal stehen wird, bringt Qualität hervor. Im Gegensatz zu Baumeistern und Großplanern habe die Architekten genau das gelernt, nämlich Architektur maßzuschneidern, die richtigen Materialien einzusetzen, ein gutes, dauerhaft erfreuliches Ding verantwortungsvoll zu erfinden. Zumindest medial ist Architektur zu einer schicken Angelegenheit geworden, zu einem Thema, das Prestige bringt. Doch dieser Trend steht im krassen Gegensatz zu den Umgangsformen, denen die Bau-Künstler des Landes ausgesetzt sind, und die man schlichtweg im Schnitt nur als Dauerdemütigung bezeichnen kann. Keine Ahnung hat der normalsterbliche Architektenkritiker davon, wie schwierig es ist, ein tausendmal durchdachtes Haus durch Bauinstanzen und Behörden zu boxen und das Kind heil auf die Welt zu bringen. Was übrig bleibt, um dann tatsächlich in die Landschaft geworfen zu werden, ist viel zu oft nur der Rest und die Ruine einer Idee. Marc Augé beschreibt in seinem gar nicht neuen doch sehr aktuellen Buch "Orte und Nicht-Orte" das politische Architekturdilettantentum folgendermaßen: "Die Ausdehnung der Nicht-Orte (...) hat bereits vom Denken der Politiker Besitz ergriffen, und sie fragen sich immer häufiger, wohin sie gehen, weil sie immer weniger wissen, wo sie sind." Angesichts der neueren Umgangstöne im Parlament darf ihm im letzten Punkt unbedingt Glaube geschenkt werden, doch ob die Politik wirklich noch dazu imstande ist, sich zu fragen, wohin sie geht, sei dahingestellt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23./24./25./26. 12. 2000)