Wien - Auf eine bemerkenswerte Entdeckung sind zwei Salzburger Wissenschafter bei der Erforschung eines Pergaments aus den Beständen der Nationalbibliothek in Wien gestoßen. Bei dem Dokument handelt es sich um die Hälfte eines Blattes aus einer Bibelausgabe, die Michael Ernst und Peter Arzt-Grabner durch Schriftvergleiche auf die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts datieren. Aus dieser Zeit würden mit dem "Kodex Vaticanus" und dem "Kodex Sinaiticus" weltweit nur zwei ähnliche Dokumente existieren, so Arzt-Grabner. Die bisher bekannten, berühmten Kodices sind allerdings umfangreich erhalten und stellen Neues und Altes Testament enthaltende "Vollbibeln" dar. Bei dem Fundstück aus der Nationalbibliothek (NB), das die beiden Theologen vom Leiter der Papyrussammlung der NB, Hermann Harrauer, vor rund drei Jahren zur Verfügung gestellt bekamen, handelt es sich nur um ein Blattfragment, das zwei Psalmen aus dem Alten Testaments enthält. Damit sei aber erwiesen, dass in dieser Zeit mindestens eine weitere Bibelhandschrift entstanden sei, folgert Arzt-Grabner. Seite als Amulett verwendet Die Entstehungszeit der Handschrift lasse sich durch Schriftvergleiche relativ einfach feststellen, meinte der Wissenschafter. Außerdem sei in genau jener Epoche die Christenverfolgung zu Ende gegangen und damit die Zeit der großen Bibelproduktion angebrochen. Das in guter Qualität erhaltene Pergament blieb laut Arzt-Grabner wahrscheinlich nur auf Grund eines Zufalls erhalten. Offenbar sei das Blatt aus einer später verlorenen Bibelhandschrift herausgerissen, zusammengefaltet und als eine Art Amulett verwendet worden. Ausgerechnet der Aberglaube bzw. eine "Bibelschändung" hätten also dazu geführt, dass ein Zeugnis für eine Bibelhandschrift der Nachwelt erhalten geblieben sei, vermutet Arzt-Grabner. (APA)