STANDARD: Die Sanierung des Budgets gilt als unumstritten. Der Gewerkschaftsbund kritisiert aber die Maßnahmen der Regierung. Warum? Leutner: Niemand ist gegen die Konsolidierung an und für sich. Aber die Frage der Wege dorthin, die ist äußerst umstritten. Ich glaube, dass das Nulldefizit-Ziel in der praktischen Politik ein Deckmantel für ein unsoziales Belastungspaket war. Das sieht man zunächst einmal an den Hauptzahlen, wenn man die Belastungen einzelnen Gruppen zuordnet. Die Arbeitnehmerseite ist von der Summe der Maßnahmen her, vom Jahr 2001 ausgehend bis zum Jahr 2003 mit 42,6 Mrd. S dauerhaft belastet. Im Gegensatz dazu steht die Situation bei den Unternehmern und Selbstständigen. Sie werden im Jahr 2001 noch mit 8,3 Milliarden belastet, dann fällt die Belastung, und siehe da, im Jahr 2003 ist dann für Unternehmen und Selbstständige schon ein Plus von 3,4 Milliarden Schilling da. Also Belastungen für die Arbeitnehmer und Entlastungen für die Unternehmen. Der Grund dafür liegt im Wesentlichen in geringeren Beiträgen der Unternehmer im Sozialbereich und in den bereits in Aussicht gestellten Körperschaftssteuersenkungen. STANDARD: Andere Experten reden von einem Maßnahmenpaket, das einnahmenseitig 30 Milliarden ausmacht, wobei die Hälfte von den Unternehmen und die andere Hälfte von den Lohnabhängigen getragen wird. Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Zahlen? Leutner: Die Zuordnung der Belastungen auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen ist eindeutig. Unsere Zahlen sind letztendlich auch nie bestritten worden. Das Ergebnis entsteht durch die versprochenen Lohnnebenkostensenkungen. STANDARD: Wie ist es denn da mit den nicht steuerlichen Maßnahmen, sprich Gebühren und andere Beiträge, haben Sie die schon eingerechnet? Leutner: Es ist eine Gesamtrechnung. Wir haben ja mittlerweile in Wirklichkeit nicht ein Belastungspaket, sondern drei. Vor dem Sommer gab es eine ganze Reihe von Gebührenerhöhungen und Erhöhungen indirekter Steuern. Wir hatten weiters die Pensionsreform mit drei Maßnahmen im Leistungsrecht, insbesondere die Anhebung des Anfallsalters. Dazu kommen die ganzen Maßnahmen bei der sozialen Treffsicherheit. STANDARD: Wenn Sie sich die Einzelmaßnahmen ansehen, welche Dinge hätte denn jede Regierung machen müssen? Leutner: Diese Frage geht nach der Ausrichtung generell. Wir haben das Gesamtpaket als sozial ungerecht gesehen und man hätte es ganz aufschnüren müssen, weil es diese Schieflage gibt. Auch bei den Pensionen ist der Weg völlig unterschiedlich. Jede Regierung hätte eine völlig neue Finanzierung der Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung durchführen müssen. Das heißt, es werden zum Beispiel Kindererziehungszeiten nicht in ausreichendem Maß vom Familienlastenausgleich finanziert, sondern von der Pensionsversicherung. Das wären alles Punkte gewesen, die man angehen hätte können. Das hat die Regierung aber nicht gemacht, weil die Überschüsse im Familienlastenausgleichsfonds und die Überschüsse in der Arbeitslosenversicherung zur Senkung der Lohnnebenkosten und zur Einführung eines neuen Karenzgeldes für alle verwendet werden. Das verursacht wieder mehrere Milliarden Schilling Kosten. Ich glaube, was jede Regierung machen hätte müssen, das wären vor allem Maßnahmen für mehr Chancen Älterer gewesen, um am Arbeitsmarkt überhaupt bestehen zu können. Da ist die Bundesregierung ja auch einiges schuldig geblieben. STANDARD: Es sind noch nicht alle Maßnahmen wirklich sichtbar. Es gibt aus den Reformdialogen jene Aufteilung, welche Prozentsätze wo zutreffen werden. Dort ist die Rede von der Pensionsreform, 26 Prozent Verwaltungsreform und 23 Prozent soziale Treffsicherheit. Leutner: Die Aufteilung der Prozentsätze ist sicher zu überprüfen. Sie fragen implizit, ob das Nulldefizit bis zum Jahre 2002 realistisch ist. Im Moment läuft die Konjunktur, nicht wegen, sondern trotz der Regierung ausdrücklich gut. Der Finanzminister wird bei den Einnahmen eine durchaus beträchtliche Konjunkturdividende haben, aber ob die Rechnung 2002 aufgehen wird, hängt jetzt vom weiteren Konjunkturverlauf ab. STANDARD: Was sind die Kernpunkte dieses Budgetprogrammes, aus Ihrer Sicht? Leutner: Die Kernpunkte sind aus Arbeitnehmersicht, negativ gesehen, natürlich die ganze Erhöhung der indirekten Steuern, die schon vor dem Sommer in Kraft getreten sind. Denken wir nur einmal an die Erhöhung der Kfz-Steuer, wo ein durchschnittliches Auto dem Arbeitnehmer pro Jahr 1300 Schilling mehr kosten wird oder an die Erhöhung der Vignette. Da zeigt sich ja bereits deutlich, dass die Behauptung, 75 Prozent der Bevölkerung würden von den Konsolidierungsmaßnahmen nicht betroffen, einfach falsch ist, weil indirekte Steuern die gesamte Bevölkerung unabhängig vom Einkommen betreffen, also auch sozial Schwächere. STANDARD: Und die Pensionen? Leutner: Der zweite Punkt ist die Pensionsreform. Da sind ja ganze Leistungsarten bei krankheitsbedingten Pensionen einfach abgeschafft worden. Das werden vor allem unqualifizierte Arbeiter und die schlechter entlohnten Angestellten spüren. Im Herbst werden die Arbeitnehmer vor allem auch die Maßnahmen der so genannten Treffsicherheit des Sozialsystems, also die Besteuerung der Unfallrenten, besonders stark spüren. Betroffen sind 100.000 Arbeitnehmer, denen die Unfallrente um ein Drittel gekürzt wird. Es werden die Arbeitnehmer auch die Leistungsverschlechterungen in der Arbeitslosenversicherung zu spüren bekommen. Beispielsweise die Kürzung der Kinderzuschläge, die Verlängerung der Anwartschaften und die diversen Selbstbehalte in der Krankenversicherung, Ambulanzgebühren. Allein die Ambulanzgebühren werden für eine Familie 1000 Schilling pro Jahr bedeuten. Das sind die Hauptpunkte. STANDARD: Im Pensionssystem ist, wenn man die Entwicklung fortschreibt, noch nicht das Ende der Sanierungsschritte gesetzt. Wie sehen Sie das? Leutner: Wir hätten mittelfristig mit unserem Alternativkonzept - mehr Beitragsgerechtigkeit in der Pensionsversicherung und neue Finanzierung der Ersatzzeiten - weitaus dieselben Konsolidierungsbeiträge hereinbekommen wie es jetzt die Regierung mit den Leistungskürzungen macht. Wir hätten aus den zwei kurzfristigen Maßnahmen durchaus bis zu zwölf Mrd. S an Entlastung des Bundesbeitrages lukriert, aber ohne die aktuellen Leistungskürzungen. Das hat die Regierung aber nicht aufgenommen, weil sie die Mittel lieber zu einer Lohnnebenkostensenkung der Unternehmen bis 2003 nehmen will. STANDARD: Ein Thema, das sehr wenig zur Sprache gekommen ist, ist die Energiebesteuerung. Wie steht es mit den Hoffnungen, dass die Preissenkungen das ausgleichen werden? Leutner: Ich sehe das völlig unabhängig voneinander. Primär hat die Regierung die Kosten in die Höhe getrieben, vor allem durch die Erhöhungen der Stromsteuer. Da wird ein Haushalt in jedem Fall einmal um 500 S pro Jahr nach unseren Berechnungen belastet. Hier wird auch nicht danach gefragt, ob das jetzt ein reicherer, ein mittlerer oder ein armer Haushalt ist. Ob dann aus der Energieliberalisierung verbesserte Preise auf die Bevölkerung zukommen, ist für mich eine offene Frage. STANDARD: Für 2003 hat die Regierung substanzielle Entlastungen versprochen. Leutner: Es wird vor allem eine Frage des Konjunkturverlaufes sein. Nur eines prophezeie ich schon in aller Klarheit: Der ÖGB wird im Jahre 2003, wenn wieder Steuersenkungen versprochen und diskutiert werden, sehr genau aufpassen, weil wir davon ausgehen, dass die Lohnsteuerquote 2003 ein ungeahntes Rekordniveau erreicht haben wird. Spätestens dann ist es Zeit, vor allem bei der Lohnsteuer zu entsprechenden Entlastungen zu kommen. STANDARD: Jetzt einmal prinzipiell zum Thema Budgetsanierung. Inwieweit ist aus Ihrer Sicht eine Budgetsanierung notwendig und im welchem Ausmaß müsste denn diese stattfinden? Leutner: Es ist die Frage des ökonomischen Weges zur Budgetsanierung. Ich möchte festhalten, dass uns die EU nicht zu einem ausgeglichen Budget zwingt. Ich bin dafür, dass der Weg der Budgetkonsolidierung fortgesetzt wird, nur glaube ich, dass ein behutsamerer Weg durchaus möglich ist, weil Deutschland, wenn ich es richtig im Sinn habe, bei der Neuverschuldung bis 2003 auf 0,5 Prozent des BIP kommen will. Das ist ein Ziel, das auch für uns durchaus sinnvoller wäre. Man muss ja nicht diese Wunderknaben-Mentalitäten mit null machen, ohne Rücksicht auf Verluste. Ökonomisch ist ein Nulldefizit bis 2003 sowieso nicht erklärbar. Für mich muss aber dazukommen, dass eine Budgetkonsolidierung, da ist die Regierung unter dem Ziel durchgelaufen, auch danach beurteilt werden soll, welche Bevölkerungsgruppen nach welcher Leistungsfähigkeit beitragen. STANDARD: Jetzt sagt man natürlich, Deutschland ist gerade der Ausnahmefall der Währungsunion. Alle anderen Länder hätten sehr rasch, schon vor Amsterdam, Maßnahmen gesetzt. Leutner: Ich glaube das nur bedingt. Es werden ja die Leistungen der früheren Koalition - ich bin ja selber Mitglied des Staatsschuldenausschusses - aus politischen Gründen nicht richtig eingeschätzt. Auch damals ist man im Laufe der 90er-Jahre von fünf Prozent Neuverschuldungsquote auf zwei Prozent gekommen. Das ist ein deutlicher Konsolidierungserfolg. Ich bin prinzipiell für Benchmarking, weil man dadurch Vergleiche gewinnt, aber dann sollte man sich alles anschauen. Da ist beispielsweise sehr interessant, dass eine ganze Reihe von Überschussländern in der EU höhere Gewinnsteuerquoten haben als wir. Wenn wir dieselbe Gewinnsteuer hätten wie Finnland, dann hätten wir jetzt ein ausgeglichenes Budget. Wenn wir dieselben Gewinnsteuern hätten wie die Niederlande, dann hätten wir 17 Milliarden Schilling Überschuss. (DER STANDARD, Printausgabe 4.1.2000)