Berlin - Das Verwaltungsgericht Berlin wird nach Angaben einer Sprecherin voraussichtlich im Juni über die Herausgabe von Stasi-Akten über Altkanzler Helmut Kohl (CDU) entscheiden. Eine Gerichtssprecherin sagte am Donnerstag in Berlin, diese Zusage sei Teil einer Absprache mit der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler. Die Leiterin der Gauck-Behörde will auf die Herausgabe der Akten entgegen ihren ursprünglichen Plänen bis zum Urteil verzichten. Damit sei das von Kohl angestrengte Eilverfahren gegen die Veröffentlichung hinfällig, sagte die Sprecherin. Kohls Anwälte und das Innenministerium, das sich im Rechtsstreit auf die Seite des Altkanzlers gestellt hatte, begrüßten Birthlers Schritt. Kohl hat vor dem Verwaltungsgericht gegen Birthlers Absicht geklagt, die fraglichen Unterlagen auch ohne seine Zustimmung zu veröffentlichen. Birthler beruft sich auf das Stasi-Unterlagengesetz, das bei Personen der Zeitgeschichte die Herausgabe der Unterlagen ohne Zustimmung des Betroffenen erlaube. Kohl wendet sich gegen diese Rechtsauffassung. Kohl sieht sich als Opfer Der deutsche Altkanzler sieht sich als Opfer des Staatssicherheitsdienstes der DDR, der mit illegalen Methoden an Informationen gekommen sei. Kohls Einschätzung wird von Innenminister Otto Schily (SPD) geteilt, der Birthler mit einer rechtsaufsichtlichen Weisung des Bundeskabinetts gegen die Veröffentlichung gedroht hatte. Birthler hatte Mittwoch Abend mitgeteilt, vor dem Urteil die fraglichen Abhörprotokolle nicht an Journalisten herauszugeben. Damit könne die Entscheidung in der Hauptsache abgewartet werden, sagte die Gerichtssprecherin. Im Gegenzug habe das Verwaltungsgericht zugesagt, im Juni mündlich zu verhandeln. In der Regel werde ein Urteil direkt nach der Verhandlung verkündet, sagte die Sprecherin weiter. Offen sei, ob in dem Verfahren mehrere Verhandlungstage erforderlich seien. Kohls Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner begrüßte in einer Erklärung das "Einlenken" Birthlers. Er verteidigte den nun hinfälligen Antrag auf einstweilige Anordnung mit dem Hinweis, dass Birthler zunächst seine Bitte zurückgewiesen habe, die Unterlagen nicht vor der Entscheidung im Hauptverfahren herauszugeben. Auch rot-grüne Koalition könnte belastet werden Auch das Innenministerium wertete die Entscheidung Birthlers positiv. Ministeriumssprecher Rainer Lingenthal sagte, das Ministerium begrüße die Entscheidung, weil Schily die Leiterin der Gauck-Behörde um einen Verzicht auf die Veröffentlichung gebeten hatte. "Es ist gut, dass der künstliche Zeitdruck aus der Sache herausgenommen ist und jetzt sachliche Beratungen ohne Zeitdruck möglich sind", unter anderem im Innenausschuss des Bundestags. Nach Lingenthals Angaben hält Schily weiter an seinem Vorschlag fest, die beiden durch widersprüchliche Gutachten gestützten Rechtsauffassungen durch ein "Obergutachten" klären zu lassen, dessen Ergebnis beide Seiten akzeptieren sollten. Schily hatte dafür zunächst den früheren Verfassungsrichter Ernst Benda vorgeschlagen. Da sich dieser jedoch bereits im Sinne Kohls und Schilys geäußert hatte, schied er für die Aufgabe aus. Daher wird nun nach einem Gutachter gesucht, dessen Rechtsauffassung beide Seiten als bindend akzeptieren könnten. Der zum Jahresende offen ausgebrochene Streit um den Umgang mit den Akten könnte auch die rot-grüne Koalition zu belasten. Im Gegensatz zu den anderen Parteien, auch zur SPD, haben sich die Innenpolitiker der Grünen auf die Seite Birthlers gestellt und das Vorgehen Schilys in dem Streit scharf kritisiert. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte die Beteiligten angesichts des drohenden Koalitionsstreits aufgefordert, die Gerichtsentscheidung abzuwarten. (APA/Reuters)