Nicht immer macht das Alter den Menschen gelassen, öfter macht es schamlos, meist dann, wenn stilistische Knackigkeit zur Schau gestellt werden soll. So eröffnete Peter Michael Lingens seine Kolumne im "profil" von vergangener Woche mit folgendem geschlechtsspezifischen Ausdruck seiner Gefühle: Natürlich freue ich mich, dass die Justiz Jörg Haider und Co an den Eiern hat - so wie die Leute, die mich nicht leiden konnten, es genossen haben, dass sie mich an den Eiern hatten. Keine Angst, auch nach diesem subjektiven Mix von andrologischem und politischem Tiefsinn wird der erste Blattsalat im neuen Jahrtausend nicht Kolumnisten gewidmet sein, denen des Lebens Freude nicht ungemischt zuteil wird, weil unauflöslich mit der Erinnerung eigener Qualen verbunden. Auch ob die Vorsitzende der Richtervereinigung sich mit dieser Auffassung vom Wirken der dritten Gewalt identifizieren kann, soll nicht der Gegenstand unserer heutigen Erörterungen sein. Nur darauf sei hingewiesen: Wenn Gemächt und Gedächtnis einander kolumnistisch in die Quere kommen, entsteht leicht jenes Gemisch, in dem alles - die jetzige FPÖ-Spitzelaffäre und was sonst noch in der Zweiten Republik Übles angerichtet wurde - solange miteinander verrührt wird, bis der Leser den Eindruck bekommt: ohnehin alles eins. Und die FPÖ mehr mildernde Umstände, als ihrem Ruf bei den Fans gut tut. Dass der systematische Aufbau eines Netzes honorierter Spitzel im Polizeiapparat - nicht um sich gelegentlich politische (oder journalistische) Vorteile zu verschaffen, sondern als Mittel zur Eroberung der Macht und um Mitbürger systematisch an den Pranger zu stellen - doch nicht ganz früheren Untaten der Altparteien entspricht, fällt dabei unter den Tisch.

Schamloses Alter: Die Lehren aus den Massenprotesten in Tschechien: Der ORF gehört in Bürgerhand! ließ der Mann gestern in der "Kronen Zeitung" titeln, der den ORF ohnehin schon an den Ei . . ., nein, das wäre, anatomisch betrachtet, ein Fehlgriff, also sagen wir, der für uns Bürger immer nur das Beste will. Dabei waren es gar nicht die Lehren aus den Massenprotesten in Tschechien, die er Montag in blumiger Sprache zog - Fernsehen ist Teil unseres Alltags geworden. Es lässt Bilder durch die Mauern in die Wohnungen tanzen. Nein, Hans Dichand nutzte wieder einmal eine Gelegenheit, sich als selbstloser Befreier des Volkes von der Geißel der Parteienherrschaft zu präsentieren: Um den ORF aus politischer Abhängigkeit zu befreien, sollte man ihn jenen übergeben, die ohnehin Anspruch darauf haben, nämlich den Bürgern. Und die Bürger als neue Eigentümer müssten bestimmen und kontrollieren.

Wieso ist bisher niemand auf diese bestechend einfache Idee gekommen? Selbst ein Genie wie Dichand hat einige Zeit gebraucht, sie zu entwickeln, wollte er doch noch am 30. Oktober 2000 den ORF keineswegs den Bürgern übergeben. Damals schlug er unter dem Pseudonym Von besonderer Seite und unter dem Titel Privates Fernsehen als Ausweg so ziemlich das Gegenteil vor: So ist es nur recht und billig, wenn sich der ORF - für teures Geld - von einem Programmteil trennen würde. Und damit die Bürger sich keine Hoffnungen auf Übergabe des Rests machen, umschrieb er den heißen Brei, ganz Patriot: Es muss ja nicht so sein, dass nach den Banken und vielen anderen Betrieben auch das private Fernsehen aus dem Ausland als "Invasion" bei uns eindringt. Ist es notwendig, dass Österreich Kultur oder Unterhaltung importiert, während Künstler und TV-Experten ins Ausland gehen? Wo nichts bodenständiger sein könnte als ein "Krone"-TV: Naheliegender wäre es doch auch, dem privaten Fernsehen die Möglichkeit zu schaffen, österreichisch zu sein, um so unsere Eigenart zum Ausdruck zu bringen.

Zum hohen Anspruch Jedem Österreicher seine Krone käme: Allen Bürgern ihr ORF. Für die Eigenart-Kontrolle der Bürger als neue Eigentümer würde die "Krone" schon sorgen. Danke Cato, aber wer hat da wen an der Ei. . .genart?
Günter Traxler