Auch E-Books brauchen Texte. Und so hat der Konzern Gemstar, der das E-Book-Geschäft steuert, sich einen französischen Verlag gekauft. Mit Jean-Pierre Arbon, dem Geschäftsführer von "00h00", sprach in Paris Christine Böhler . Paris - Die Metrostation heißt "Bourse", also Börse, und das Schild beim Ausgang informiert, dass es hier zur Nationalbibliothek geht. "00h00", ausgesprochen "Zéro Heure", der französische Verlag, der sich auf elektronische Editionen spezialisiert hat, liegt irgendwie typisch: zwischen Literatur und Nasdaq. Bei Tageslicht und im Gespräch mit Jean-Pierre Arbon, dem Geschäftsführer von "00h00", stellt sich allerdings heraus, dass alles anders ist. Die Börse gibt es nur mehr elektronisch. Die Nationalbibliothek ist ans andere Ufer der Seine übersiedelt. Die meisten Verlagshäuser in Paris sind im Quartier Latin angesiedelt, und hier hat auch Jean-Pierre Arbon früher gearbeitet: als Geschäftsführer und Leiter der Multimediaabteilung des Verlags Flammarion. Das dürfte ihn auf den Geschmack gebracht haben: 1997 gründete er mit Bruno de Sa Moreira das auf digitale Inhalte und Rechteverwertung spezialisierte Verlagshaus Zéro Heure. Damit hat Arbon die Seite gewechselt, sein Büro liegt nun am anderen Ufer der Seine, im früheren Textilviertel, heute "Quartier Sentier" genannt, dem Silicon Valley von Paris. Elektronische Rechte Gemstar, der Nasdaq-notierte Konzern, der sich unter anderem auf das E-Book-Geschäft verlegt hat, hat im Herbst 2000 den französischen Jungverlag gekauft. Damit hat die US-Firma, die ihre Hauptgewinne über die Unterhaltungselektronik lukriert, einen klugen Schachzug getan: Arbon und sein Partner bringen das mit, woran es den Amerikanern mangelt, Kenntnis des Literaturmarkts und -betriebs. Und daher Akzeptanz bei den traditionellen Verlagshäusern, die die neuen Geschäftsideen sehr argwöhnisch betrachten. Jean-Pierre Arbon: "Die Verlage haben anfangs überhaupt nicht verstanden, was wir vorhatten oder worüber wir sprachen. Aber da ich selbst der Geschäftsführer eines sehr großen Verlages gewesen war, haben sie es eher akzeptiert. Wir bemühen uns bei Zéro Heure, die Rechte an Texten zu bekommen, um im Internet zu publizieren. Dazu haben wir eine neue Kategorie von Rechten definiert: die elektronischen Rechte." Mit den elektronischen Rechten wurde auch eine neue Preiskategorie im Buchhandel eingeführt. Die elektronischen Ausgaben kosten etwa die Hälfte der gedruckten, da sie als eigenständige Edition betrachtet werden: "Unser Konzept ist vom Taschenbuchprinzip inspiriert: eine neue Edition mit neuem Format und Preis, mit eigenen Lesern und eigenem Vertrieb. Wir sind zu den Verlegern gegangen und haben ihnen gesagt: ,Wir interessieren uns für die elektronischen Rechte an dem und dem Titel in eurem Programm.' Zuerst waren sie sehr misstrauisch, aber da ich die meisten Verleger persönlich kannte, schaffte ich es zumindest, Gesprächstermine zu bekommen. Heute ist Zéro Heure in Frankreich sehr bekannt und seit dem Kauf durch Gemstar auch international. Arbon sieht die Zukunft des Verlags in zwei Bereichen: Unter dem Namen Gemstar werden seine Mitarbeiter losziehen und den Verlegern das E-Book-System als Vertriebskanal anbieten. "Unser Hauptanliegen ist, Verleger von den Möglichkeiten der E-Books zu überzeugen. Gemstar ist ein digitaler Vertrieb und bietet Server, System, Aufbereitung der elektronischen Daten, Copyrightschutz. Der Verleger behält die elektronischen Rechte, er legt den Preis und das Erscheinungsdatum fest. Wir zahlen pro verkauftem Titel." Das Verlagsgeschäft wird weiterhin unter dem Namen Zéro Heure betrieben werden. Und die digitale Literatur der Zukunft? "Die Autoren werden zu entscheiden haben, wie es weitergeht. Ihnen zu zeigen, was möglich ist, und dann abzuwarten, was sie machen, ist Teil meines Jobs", so Arbon. Die experimentelle digitale Literaturszene allerdings hat ihre Probleme mit dem E-Book: der hoch dotierte Frankfurter eBook Award , heuer erstmals verliehen, wurde maßgeblich von Microsoft gesponsert, die dafür zuviel Einfluss genommen hätten, so die Klage. Nur große Verlage seien vertreten gewesen, neue digitale Literaturformen hätten keine Beachtung gefunden. Tatsächlich lesen sich die Verlage der Gewinner wie ein Who's who der internationalen Medienszene: Simon & Schuster, Time Warner, Econ. Inzwischen gibt es einen alternativen eBook Award . Jean-Pierre Arbon, der motorradfahrende französische Intellektuelle, der den amerikanischen New-Economy-Leuten digitale Inhalte liefern soll, gibt sich zurückhaltend. An das digitale Publizieren glaubt er - "Ich bin kein romantischer Verleger. Ich verehre nicht den Geruch von Büchern, ich will Geschichten und Ideen veröffentlichen. Der Arbeitsbereich wird sich in den nächsten fünf oder zehn Jahren völlig verändern. Ich verstehe die Probleme und Sorgen der Verleger mit den neuen Technologien, aber ich weiß auch, wenn sie nicht jetzt beginnen, digital zu arbeiten, werden sie in zehn Jahren nicht mehr existieren." Vorerst wird es bei dem bleiben, was in der Branche als Witz kursiert: Nur Gemstar- Angestellte und Journalisten wurden je mit einem E-Book in der Hand gesehen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 1. 2001)