Wien - "Wir wollten schon letzten Herbst den ersten kalten Antiwasserstoff bauen, das ist uns leider nicht gelungen, aber wir sind schrecklich nahe daran", berichtet Gerald Gabrielse (Harvard) dem STANDARD, "und hoffen, dann die zentrale Frage klären zu können, wie gleich oder verschieden Wasserstoff und Antiwasserstoff sind." Diese Frage ist aus zwei - widersprüchlichen - Gründen zentral, zunächst zur Erklärung unserer eigenen Existenz: "Warum das Universum überhaupt aus Materie besteht und nicht aus Antimaterie, schon darauf haben wir keine gute Antwort", erklärt Gabrielse, "und dahinter liegt das viel größere Problem: Warum es überhaupt etwas gibt." Urknall-Feuerwerk Denn nach dem gängigen Modell des Urknalls ist das Universum zu gleichen Teilen aus Materie und Antimaterie entstanden und hätte sich in einem großen Feuerwerk gleich wieder vernichten müssen. Das liegt daran, dass Antimaterie und Materie sich beim Zusammenprall gegenseitig zerstrahlen, weil die beiden zwar in Masse und Ladungsgröße völlig identisch sind, aber eine umgekehrte Ladung tragen. Dass es überhaupt Antimaterie gibt, wurde 1928 von Paul Dirac postuliert, in den 30er-Jahren dann auch beobachtet, hoch oben in der Atmosphäre, wo kosmische Strahlung mit gewaltiger Energie einschlägt und Antiteilchen erzeugt. Nachahmen konnte man das erst Mitte der 50er-Jahre, als auch in Beschleunigern Teilchen mit hoher Energie aufeinander geschossen wurden und zunächst Antiprotonen erzeugt wurden. Dann fand man auch die Gegenstücke zu den anderen zwei Bausteinen der Materie: Positronen (Antielektronen) und Antineutronen. Inzwischen sind sie zwar relativ einfach zu erzeugen, aber enorm schwer zu analysieren, weil die "geisterhaften Schatten" (Gabrielse) mit nahezu Lichtgeschwindigkeit rasen und rasch auf Materie treffen. Dass das Bremsen und Einfangen trotzdem gelingt, ist vor allem Gabrielses Verdienst, der am europäischen Forschungszentrum CERN in Genf zunächst Antiprotonen in einer spezifischen Falle - einem elektromagnetischen Containment mit Temperaturen nahe absolut null - halten konnte, über Monate hinweg. Damit werden sie mit ihren Gegenstücken vergleichbar und zeigten auch, dass sie gleich sind. Die große Probe aber kommt erst bei den Atomen bzw. dem einfachsten davon: Wasserstoff. Er besteht aus einem Elektron und einem Proton, sein Gegenstück bestünde aus einem Positron und einem Antiproton. Beide hat Gabrielse schon in derselben Falle, nur zueinander gefunden haben sie noch nicht. Haben sie es einmal, kann man sie mit Wasserstoff vergleichen. "Und wenn sie keinen Unterschied zeigen - außer eben dem der Ladung -, dann werde ich in Zukunft besser schlafen können", erklärt Gabrielse: Denn dann ist das grundlegende Modell der Teilchenphysik bestätigt, das Standardmodell, für das Materie und Antimaterie symmetrisch sind. Modell oder Existenz Finden sich hingegen Unterschiede, käme dieses Modell in starke Schwierigkeiten. Dann würde Gabrielses Schlaf unruhiger, aber dafür wäre Gabrielses Existenz und die seines Betts gesichert: Nur wenn sich Materie und Antimaterie doch irgendwie unterscheiden, ist geklärt, warum es überhaupt Materie gibt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.1.2001, Jürgen LAngenbach)