Jerusalem - eine unteilbare Stadt: Das Motto der jüdischen Siedler, die am Montagabend im historischen Zentrum "ihrer" Hauptstadt demonstrierten, trifft den Kern des Problems. Allerdings in ganz anderem Sinn als dem seiner Protagonisten. Mit seiner Geschichte und seiner Bedeutung für alle drei monotheistischen Weltreligionen ist Jerusalem tatsächlich unteilbar - unteilbares Erbe der Menschheit. Eine heilige Stadt ist Jerusalem für Juden wie für Muslime. Sie beherbergt die Reste des von den Römern zerstörten Tempels - für die Juden das größte Heiligtum - und den Tempelberg. Dieser wiederum ist für die Muslime mit Felsendom (laut Überlieferung Ort der "Himmelfahrt" Mohammeds) und Al-Aksa-Moschee das dritte große Heiligtum nach Mekka und Medina. Das Christentum ist auf dem Tempelberg vergleichsweise unbedeutend (und unrühmlich) vertreten: mit der Ruine der ersten Kreuzritterkirche. Gemeinsam haben die drei monotheistischen Weltreligionen das Friedensgebot. Wenn aber religiöser Absolutheitsanspruch historisch begründet wird und daraus politische Souveränitätsrechte abgeleitet werden, läuft dies auf das genaue Gegenteil der Friedensbotschaft hinaus. Jerusalem war und ist das beste und also schlechteste Beispiel dafür. Die militanten jüdischen Siedler wissen, warum sie auf voller Souveränität über Jerusalem bestehen: Andernfalls würde auch ihr "Anspruch" auf die "heilige" Erde in den Siedlungsgebieten noch fragwürdiger. Aber auch die andere Seite setzt wieder auf Maximalpositionen: Der Großmufti von Jerusalem hat am Montag per Fatwa (religiöses Gutachten) Tempelberg samt (jüdischer) Klagemauer zu rein islamischem Gebiet erklärt. Solcher Art ist der Stoff, mit dem man den Kriegszustand zementiert - im heiligen, ewigen, unteilbaren Jerusalem. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.1.2001)