Straßburg - Bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen russischer Soldaten während des Kriegs in Tschetschenien wird in Russland offenbar weiterhin gemauert. Zu diesem Schluss kommen zwei Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, die im Dezember in Moskau mit zuständigen Politikern und Vertretern der Justiz gesprochen hatten. Es gebe nach wie vor einen "Verbund" aus Vertretern der Ministerien für Verteidigung und Inneres sowie der Generalstaatsanwaltschaft, die sich gemeinsam gegen eine wirksame Strafverfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrecher stemmten, erläuterte einer der Beobachter, der SPD-Bundestagsabgeordnete Rudolf Bindig. Bindig will am Samstag gemeinsam mit dem britischen Labour-Abgeordneten, Lord Judd, erneut für mehrere Tage in den Kaukasus reisen, um sich über die jüngsten Entwicklungen zu informieren. Ende Jänner soll sich die Parlamentarierversammlung des Europarats abermals mit der russischen Tschetschenien-Politik befassen. Dabei geht es auch um die Frage, ob die russische Delegation das Stimmrecht zurückerhält, das ihr die Versammlung im April aus Protest gegen das Vorgehen Moskaus in Tschetschenien entzogen hatte. "Wenig Eifer" Bei ihrem Besuch in Moskau waren Bindig und Lord Judd unter anderem mit dem russischen Menschenrechtsbeauftragten für Tschetschenien, Wladimir Kalamanow, sowie den zivilen und militärischen Generalstaatsanwälten zusammengetroffen. Dabei erfuhren sie, dass Kalamanow der Staatsanwaltschaft bis Dezember 540 Fälle von Kriegsverbrechen übermittelt hatte, die während des Tschetschenien-Kriegs mutmaßlich von russischen Soldaten verübt wurden. Die Staatsanwaltschaft habe nur in 31 Fällen Ermittlungen eingeleitet, heißt es in einem Bericht der beiden Beobachter. Nur in fünf dieser Fälle seien die Täter verurteilt worden. Sechs andere wurden dank einer Amnistie freigesprochen, gegen die übrigen werde noch ermittelt. "Das zeigt, wie wenig Eifer die Staatsanwaltschaft an den Tag legt", sagte Bindig. Dies führe dazu, dass russische Soldaten sich in der abtrünnigen Kaukasus-Republik praktisch in einem "Raum der Straflosigkeit" bewegten. Die Folge seien anhaltende Gewalt und Schikanen gegen die Zivilbevölkerung. (APA)