Wien - Anton Innauer selbst nennt seine Wandlung vom wilden Hund zum Intellektuellen einen "schleichenden Persönlichkeitsumbau". Obgleich er hinzufügt, dass beides kein Widerspruch ist. Mit 21 Jahren bestreitet Innauer seinen letzten Wettkampf, studiert dann in Innsbruck neben Sportwissenschaften auch Psychologie, Pädagogik, Philosophie. Über seinen "kulturellen Ziehvater", den profil -Chefredakteur Christian Seiler, schnuppert er in die "richtige" Literatur hinein. Eine Entwicklung, die in der heutigen Lesung (gemeinsam mit Wolfgang Bauer) im Schauspielhaus einen kleinen Höhepunkt findet. "Ich kam nicht umhin", sagt der Olympiasieger, "manche Dinge infrage zu stellen und der Verklärung zu entziehen." Die Diplomarbeit: der "Showsport Skispringen" (Innauer) aus soziologischer Sicht. Wenn er heute Friedrich Torberg, Norbert Gstrein und Michael Köhlmeier vorträgt, will er "hinter den Spiegel" blicken. Auch mit einem Text "über die Einsamkeit des Langstreckenläufers". Oder mit Beobachtungen des Amerikaners Richard Ford, der in "Der Sportreporter" die notorische Aufgeregtheit der Branche punktgenau seziert. Die Kernfrage Macht Philosophie einen Sportler frei? "Das ist eine Kernfrage. Wer zu kopflastig wird, zu sehr in die Details geht", erklärt Innauer, "kann ein Problem bekommen. Er muss im Entscheidungsfall handlungssicher agieren können. Es nützt ihm nichts, wenn er seinen Beruf auf einer tieferen Ebene verstanden hat. Er muss ihn können. Das heißt nicht, dass er dumm sein muss. Er muss für sich entscheiden können, wie viel er verarbeiten kann, ohne dass seine intuitiven, instinktiven Fähigkeiten leiden. Es klingt zynisch: Es gibt viele Sportler, die könnten wunderbare, tief schürfende Interviews geben. Aber sie kommen nicht dazu, weil sie es gerade dadurch verhindern." Und Innauer spannt den Bogen vom richtigen Zeitpunkt des Absprungs zur Musik: "Die alten Trainer wissen, dass es eher um ein Erahnen denn ein bewusstes Konstruieren geht. Ich lese gerade ein Buch vom Fagottisten Milan Turkovic, der beschreibt ähnliche Phänomene. Wenn ein Orchester auf den Punkt genau präsent sein soll, dann funktioniert das auch nur über ein kollektives Erahnen. Vielleicht hilft da das Rhythmusgefühl ein wenig. Aber das sind dieselben Prozesse. Musiker wissen sofort, worum es geht, wenn ich diese Prozesse anspreche." Baldur Preiml hatte mit autosuggestiven Formeln gearbeitet. Können Worte Energie freisetzen? "Er hat uns zum Teil damit genötigt", erinnert sich Innauer: "Im psychoregulativen Bereich arbeitet man heute mit ähnlichen Methoden. Worte können Blockaden lösen. Man muss sie aber im psychosozialen Umfeld richtig platzieren." Der Weltrekordflug 1976 in Oberstdorf (fünfmal Note 20). Fühlte sich Innauer auch als Künstler? "Das war schon eine neue Qualität. Auch des Erlebens, weil man das biedere Handwerk weit hinter sich lässt. Das hat schon auch mit Virtuosität zu tun. Ich bin, vielleicht ähnlich einem Künstler, unter einer gewissen Gnade gestanden. Ich habe für diesen Flug natürlich viel vorbereitet. Im Moment selbst aber ist man nur das Medium." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 1. 2001)