Wien - Man sollte meinen, es liege auf der Hand: Flüchtling zu sein bedeutet für Männer etwas anderes als für Frauen. Dennoch orientiert sich die Flüchtlingspolitik auch heute noch am Mann. Frauen - bezeichnenderweise mit Kindern in eine Kategorie gepresst - gelten grosso modo als Mitflüchtende. "Zwar gibt es inzwischen eine breite Flüchtlingsforschung", weiß Ethnologin Susanne Binder von der Uni Wien, "doch spielt der Gender-Aspekt darin nicht die gebührende Rolle. Und der Transfer allfälliger Erkenntnisse aus der Forschung in die Politik funktioniert sowieso nur mangelhaft." Um gegen diese Defizite anzukämpfen, haben Binder und Kollegin Jelena Tosic einen dreitägigen internationalen Kongress zum Thema "Refugee Studies and Politics" organisiert, der heute, Donnerstag, an der Uni Wien beginnt. "Leider ist der Begriff Flüchtling geschlechtslos", bedauert Tosic, "auch im Englischen - refugee. Zwar hat man in den 70er-Jahren, in der UN-Dekade der Frauen, im Uno-Flüchtlingshilfswerk einen Refugee Women's Coordinator installiert. Viel genützt hat das allerdings nicht, zumindest hat es keine Auswirkungen auf die Asylpolitik der einzelnen Staaten gehabt." Wie viele Flüchtlinge es überhaupt gibt, lässt sich nicht einmal annähernd eruieren. Als Flüchtling registriert wird eben nur, wer eine Grenze passiert oder in ein Lager kommt. Wer innerhalb seines eigenen Landes auf der Flucht ist, bleibt unerfasst. Also schwanken die Zahlen zwischen 13-18 Millionen (UNHCR) und 500 Millionen (Rotes Kreuz). Wie viele dieser Millionen Frauen sind, hat eine 1995 bei der Frauenkonferenz in Beijing vorgestellte Studie hochgerechnet: In Afrika und Asien um die 80 Prozent, in den Industrieländern 30 Prozent. Der Grund: In die reichen Länder drängen vor allem Männer, die eine Arbeitsmöglichkeit suchen. "Die Fluchtgründe beider Geschlechter sind sehr unterschiedlich", sagt Binder, "und müssten unbedingt in die Asylpolitik Eingang finden." Dass das bis heute nicht geschah, wies die deutsche Studie "Wanderungsmotive von Frauen und Aufnahmesituation in Deutschland" (Schöffes/ Treibel) 1996 nach. Bei der Analyse der Asylverfahren für Frauen zeigte sich, dass Frauen es bei der Anerkennung von Fluchtgründen viel schwerer haben als Männer. Asyl verweigert Sexuelle Übergriffe etwa sind zwar in Australien, Neuseeland und den USA als Asylgrund anerkannt, in Europa aber nur bedingt. Binder: "Hier geht man vom Einzelschicksal aus und erkennt nicht an, dass sexuelle Übergriffe auf Frauen in Konfliktfällen eine bewusst eingesetzte Strategie sind." Auch der Fluchtgrund "politische Verfolgung" wird bei Frauen nicht ernst genommen, weil man ihnen keine höheren politischen Positionen zutraut. Eine weitere Problematik ist der Frauenhandel: Flüchtende Frauen geraten oft in die Hände von Schlepperbanden, die ihnen als Entgelt Prostitution abverlangen. "Unser Kongress soll eine Brücke zwischen Forschung und Politik schlagen", sagen die Ethnologinnen, "deshalb haben wir auch Vertreter von NGOs, aus dem UNHCR und aus der Politik eingeladen." (Heide Korn, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 1. 2001).