Eine kleine demokratiepolitische Revolution: Dass die Delegierten der SPÖ-Neujahrskonferenz so schwergewichtigen Kritikern lauschten wie Caritas-Direktor Michael Landau, Zeitgeschichte-Professorin Erika Weinzierl und STANDARD-Herausgeber Oscar Bronner, stellte eine absolute Novität dar, deren Wert nur wenig dadurch gemindert wird, dass die Debatte danach hinter geschlossenen Türen stattfand und die ÖVP bei ihrer Tagung in Alpbach mit dem Theologen Paul Zulehner und IHS-Chef Bernhard Felderer nun Ähnliches probt (spannend wäre es, würde sich auch die größere Regierungspartei einmal im eigenen Rahmen Gegnern stellen und sie nicht bloß denunzieren). Freilich: Auf der Oppositionsbank lernt man schneller (wenn auch nicht leichter) als auf Ministersesseln. Probleme präziser diskutieren Tatsächlich schien die SPÖ auf Bundesebene in letzter Zeit primär damit beschäftigt, ihre Dominanz als Staatspartei verzweifelt abzusichern (Bronner), auch um den Preis sozialer, bisweilen auch ethischer Orientierungslosigkeit (Landau). Tatsächlich wurde sie deswegen "scheibchenweise abgewählt" (Bronner). Ebenso tatsächlich aber fürchten heute viele Bürger den von Weinzierl beklagten weiteren Abbau demokratischer Standards in Zeiten der Lumpis, Dumpis und Humpis, der versuchten ORF-Kannibalisierung und der Klageflut gegen kritische Medien. Diese Skepsis gegenüber einer blau gefärbten VP-Regierung wird freilich nur dann der SPÖ nutzen, wenn sie ihre drei großen Probleme noch präziser diskutiert, als dies beim Neujahrstreffen geprobt wurde: 1. Ihr strategisches Problem: Versteht sie sich ausschließlich als eine Schutzgemeinschaft der terminologisch von allen Seiten missbrauchten "kleinen Leut'" oder - zumindest auch - als eine Modernisierungsagentur für einen sozial verträglichen Umbau des Sozialstaats? Praktisch ausgedrückt: Wie ordnet sich etwa das Verhältnis zwischen sozialdemokratischer Partei und den Gewerkschaften, schaffen nicht beide Seiten ihre nötige Umorientierung besser in einer klareren Aufgabenteilung als bisher? 2. Ihr taktisches Problem: Setzt sie - mehr gezwungen als freiwillig - ausschließlich auf eine rot-grüne Alternative zu Schwarz-Blau oder entwickelt sie - zumindest auch - so viel Attraktivität für christlich-soziale und liberale Schichten, dass eine Neuauflage von Rot-Schwarz (oder Schwarz-Rot) nicht als Aufguss eines historisch verdienstvollen, aber zu Recht abgewählten, weil erstarrten Modells erscheint? Praktisch ausgedrückt: Schafft etwa die Wiener SPÖ nach der Wahl mittels flexibler Mehrheiten und eines großen koalitionsfreien Raums ein neues Modell des Regierens in Zusammenarbeit mit beiden vorstellbaren Partnern? 3. Ihr personelles Problem: Hinter einem intellektuell versierten Parteichef (die hämischen Debatten über Haarschnitt und Taschenwahl würden nach weiteren Erfolgen à la Burgenland bald gänzlich verstummen) und einem auch machttechnisch geschickten Wiener Bürgermeister herrscht (mit Ausnahme einer Hand voll engagierter Bereichssprecher und eines guten Dutzends attraktiver Landespolitiker) viel Leere. Praktisch ausgedrückt: Kann die dafür zuständige Bundesgeschäftsführerin Kuntzl im neu geknüpften "Netzwerk Innovation" dringend benötigtes neues, vor allem intellektuelles Potenzial für einen produktiven Dialog mit der SPÖ finden? Glaubwürdiger argumentieren Die bisherige Entwicklung der SPÖ unter Alfred Gusenbauer lässt kein gerechtes Urteil über ihre und seine Chancen zu. Es gibt Defizite im medialen (wieso probieren es die Sozialdemokraten nicht wenigstens, in der stillen Zeit der Weihnachtsferien eine Art innenpolitische Themenführerschaft anzugehen?) und vor allem im finanziellen Bereich (der Abbau eines Minus von 300 Millionen Schilling ist wahrlich kein Lercherl). Es gibt aber auch historische Mühlsteine: Wie kann sich die SPÖ etwa einigermaßen glaubwürdig über Sparmaßnahmen erregen, von denen sie vermutlich selbst drei Viertel (siehe frühere rot-schwarze Pakete) angegangen wäre? Wie rasch entwickelt eine SPÖ, die für die ganze Generation der heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen die Staatspartei Nummer 1 war und dementsprechend deren weit verbreitete Aggression bis Apathie auf sich gelenkt hat, neue Attraktion? Im sozialdemokratischen Erscheinungsbild des vergangenen Jahres gab es ebenso Irrwege (was soll etwa das Liebäugeln mit mehr Volks- abstimmungen? - ein Heimspiel für die plebiszitär-populistische FPÖ!) wie Fortschritte (neben der diskursiven Öffnung `a la Neujahrskonferenz beispielsweise das öffentliche Eingestehen historischer Fehltritte, von denen auch ein Bruno Kreisky - siehe Affäre Wiesenthal - nicht frei war). Grenzen nicht verwischen Und es gibt anscheinend eine trügerische Verlockung für manche Sozialdemokraten: Sollten noch mehr Landespolitiker - gegen Gusenbauer & Häupl - eine "Öffnung" zur FPÖ fordern, untergraben sie nicht nur einen der wenigen unbestrittenen Identitätsbausteine der SPÖ ("Solidaritätspartei versus Spaltungspartei"), sondern auch beide ihrer halbwegs realistischen Optionen: Ein (von der anderen Seite ohnehin nur hohnlachend beobachtetes) Liebäugeln mit den Freiheitlichen macht sowohl Rot-Grün unmöglich als auch Rot-Schwarz. Zweiteres kann sich nämlich nur dann entwickeln, wenn auch im Rahmen oppositioneller Kritik der Unterschied zwischen den beiden Regierungsparteien, einer klassisch-konservativen und einer autoritär-rechtspopulistischen, nicht verwischt wird. Peter Pelinka ist einer der Chefredakteure von "News". (DER STANDARD; Printausgabe, 12. Jänner 2001)