Etat
Bürger oder Würger? - Von Michael Fleischhacker
Die "rebellierenden" Journalisten des tschechischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders CT haben die Medienschlacht
gewonnen: Generaldirektor Jirí Hodac, erst am 20. Dezember als Ergebnis eines Politgeschäftes zwischen dem sozialistischen
Premier Milos Zeman und dem Chef der konservativen Demokratischen Bürgerpartei ODS, Václav Klaus, ins Amt gepresst,
trat zurück. Am Donnerstagabend dominierte also bei den Siegern im Newsroom und bei den 50.000 Demonstranten auf dem
Wenzelsplatz die Freude über diesen "Sieg der Zivilgesellschaft".
Tags darauf war wieder die Politik am Wort: Im Abgeordnetenhaus des Parlaments diskutierte man über die Novelle des
Rundfunkrechts, die von der liberalen Opposition und den regierenden Sozialdemokraten - Kulturminister Pavel Dostal sprach
von einer "Bedingung für die Lösung der Krise" im öffentlich-rechtlichen Rundfunk - befürwortet wird. Václav Klaus hingegen
beklagte mit Blick auf den Rücktritt seines Schützlings Hodac einen "Sieg der Telekratie über die Demokratie".
Aus dem Mund des ausgefuchsten Machtpolitikers Klaus klingt die Klage über einen Mangel an Demokratie ziemlich
durchsichtig: "Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche", sagt das Sprichwort, und es wird wohl nicht nur für
Václav Klaus gelten.
Das Ringen um die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien in den postkommunistischen Staaten wird nicht zufällig
von Wien aus mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt: Auch in Österreich sieht sich der ORF mit dem Versuch der
Regierungsparteien konfrontiert, die Öffentlich-Rechtlichen an die kurze Leine zu nehmen. Und auch auf dem Küniglberg
sucht man nach dem passendsten Umgang mit der Tatsache, dass solche Versuche der Einflussnahme nicht unbedingt ein
Phänomen jüngsten Datums sind. Es ist noch nicht so lange her, dass der ehemalige Pressesprecher eines Bundeskanzlers
als Generalintendant des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Erscheinung trat.
Das rechtfertigt nicht die unverschämten Versuche vor allem der FPÖ, aber auch der Kanzlerpartei, sich den ORF gefügig zu
machen. Wohl aber scheint einige Skepsis angesichts der neuen Begeisterung für die Idee der "Zivilgesellschaft" angebracht,
von der man sich die ultimative Lösung der öffentlich-rechtlichen Problematik erhofft: Nach welchen Regeln und
Mechanismen soll das funktionieren? Wer schafft dafür die Rahmenbedingungen, wenn nicht das Parlament, das nun einmal in
einer repräsentativen Demokratie der vornehmste Ort des Öffentlich-Rechtlichen ist?
Man muss sich ja nur vergegenwärtigen, dass selbstverständlich auch Hans Dichand, Richard Nimmerrichter und die Kronen
Zeitung Teil dieser Zivilgesellschaft sind, und schon klingt die von Herrn "Cato" alias Dichand erhobene, genuin
zivilgesellschaftliche Forderung "Der ORF in Bürgerhand" wie eine gefährliche Drohung: "Der ORF in Würgerhand" lautete
folgerichtig der Titel von Armin Thurnhers dieswöchigem Falter-Leitartikel.
So eindrucksvoll und unterstützenswert die tschechische Bürgerbewegung für einen unabhängigen Rundfunk ist, so sehr muss
man sich vor der Fantasie hüten, die öffentlich-rechtliche Problematik ließe sich völlig abseits der Politik lösen. Dort stehen
nicht nur die Bürger, die für Unabhängigkeit kämpfen, dort lauern auch die Dichands aller Färbungen auf fette Beute.
Zentraler Ort der Auseinandersetzung muss das Parlament bleiben, dort müssen - natürlich auch auf Druck
zivilgesellschaftlicher Formationen - gesetzliche Regelungen erreicht werden, die den direkten Einfluss der Politik - etwa
durch ein Verbot der Entsendung von Politikern ins ORF-Kuratorium - auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
zurückdrängen. Genau das hat die neue Regierung versprochen. Und das genaue Gegenteil davon verwirklicht. Das ist Betrug
an der Öffentlichkeit im wahrsten Sinn des Wortes. (DER STANDARD, PRINT-AUSGABE, 13./14.1.2001)