Zagreb - Der für Montag angesetzte Zagreb-Besuch der Chefanklägerin des UNO-Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, hat in Kroatien zu heftigen innenpolitischen Meinungsverschiedenheiten geführt. "Die Regierung darf nicht zulassen, dass das Haager Gericht die militärische und politische Führung in Kroatien von 1991 und 1992 verfolgt", ließ etwa die sozialliberale HSLS verlauten. Sie ist die zweitstärkste Kraft in der Sechs-Parteien-Koalition und steht Den Haag deutlich skeptisch gegenüber. Hintergrund dürfte der Umstand sein, dass sich angeblich auch Parteichef Drazen Budisa auf einer Liste jener Politiker befindet, die von Den Haag als "verdächtig" eingestuft werden. Budisa hatte hatte im Jahr 1991 als "Minister ohne Geschäftsbereich" einer vom im Dezember 1999 verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman gebildeten "Regierung der nationalen Einheit" angehört. Die Existenz der Liste, auf der angeblich über 100 kroatische Politiker angeführt sind, wurde vom sozialdemokratischen Regierungschef Ivica Racan bereits mehrfach dementiert, dennoch gerät der Ministerpräsident vor seinem für Montag Abend festgesetzten Treffen mit Del Ponte zunehmend unter Druck. Im Gegensatz zu Präsident Stipe Mesic ging Racan zuletzt etwas auf Distanz zu Den Haag. In diesem Zusammenhang dürfte auch die am Donnerstag getroffene Entscheidung des Kabinetts stehen, die Archivunterlagen des früheren Präsidenten Franjo Tudjman für 30 Jahre sperren zu lassen. In den Unterlagen befinden sich auch wichtige Dokumente, die den illegalen Separatstaat "Herceg Bosna" in Bosnien-Herzegowina betreffen. "Politisierung des Gerichts in Den Haag" nicht unterschätzen Auch andere Parteien und NGOs forderten die Regierung auf, die "Interessen Kroatiens" bei den Gesprächen mit Del Pointe nicht aus den Augen zu verlieren. Andria Hebrag von der "Vereinigung für die kroatische Identität und Wohlfahrt" warnte Racan davor, die "zunehmende Politisierung des Gerichts in Den Haag" zu unterschätzen. Der Präsident des dem rechten Lager zugeordneten "Zentralen Hauptquartiers für die Verteidigung der Würde des Vaterländischen Kriegs", sagte, Racan müsse alle "ungerechtfertigten" Forderungen von Den Haag zurückweisen, um die ehemaligen Kriegsteilnehmer nicht in Misskredit zu bringen. Die Christdemokratische Union (HKDU) kritisierte, dass das Gespräch mit Del Ponte ausgrechnet am 15. Jänner, dem Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens, stattfinde. Die nicht im Parlament vertretene Rechtsaußen-Partei HOV (Kroatischer Oppositionrat) kündigte an, beim Verfassungsgerichtshof eine Klage gegen Präsident Mesic einbringen zu wollen. Der HOV wirft Mesic vor, vor Bekanntwerden der Sperre des Tudjman-Archivs zahlreiche Dokumente an in- und ausländische Journalisten weitergegeben zu haben. Er habe sich damit der Spionage und des Hochverrats schuldig gemacht. Mesic hatte zuletzt angeregt, das Material vom Innenministerium auf mögliche krimininelle Verstrickungen analysieren zu lassen. (APA)