Paris - Sie wird betrogen und leidet, doch ist ihr Leiden "menschlicher" als das ihrer Vorgängerinnen. In der Neuinszenierung des Ballett-Klassikers "Giselle" von Adolphe Adam zeigte Sylvie Guillem am Samstag Abend im Theatre du Chatelet dem begeisterten Publikum eine Dorfschöne des 21. Jahrhunderts. "Die Frau heutzutage liebt und verzeiht, sie kennt Höhen und Tiefen und leidet nicht ewig", meint die ehemalige Startänzerin der Pariser Oper zu ihrer neuen Version. Zeitgleich zur Pariser Premiere der Liebesgeschichte zwischen dem Bauernmädchen Giselle und dem Herzog Albrecht zeigt die Oper Garnier bis zum 18. Februar eine Ausstellung zum Thema. Skizzen, Fotos und Kostüme stellen die Geschichte des 1841 uraufgeführten Werks dar. "Giselle fasziniert durch ihre Liebes- und Leidensfähigkeit noch mehr als früher", meint der Ausstellungsleiter, "Giselle ist in Frankreich beliebter denn je. Liebe, Leidenschaft und Tod bleiben immer aktuell". Auch John Neumeier zeigte kürzlich eine Neuchoreografie in der Hamburgischen Staatsoper. "Meine Giselle besteht aus Fleisch und Blut. Ich konnte diese Aufführungen nicht mehr sehen, die immer gezierter und altmodischer getanzt wurden", sagt die 36-jährige Guillem, "bei mir bringen die Akteure ihre Wut und Gefühle zum Ausdruck. Für mich ist das wichtiger als die Harmonie der Tanzschritte". Mit dem Werk, das als Inbegriff des romantischen Balletts gilt, wagte die Künstlerin vor mehr als zwei Jahren in Finnland ihre ersten Schritte als Choreografin. In Guillems theatralischer Neuinszenierung dominieren Gestik und Ausdruckskraft die technische Leistung des finnischen Staatsballetts und der von ihr getanzten Giselle. Die Französin trat 1981 in das Ballett der Pariser Oper ein. 1984 wurde sie von Rudolf Nurejew zur "Ersten Tänzerin" ernannt, 1989 verließ sie das Musikhaus und tanzte für "wen und mit wem" sie wollte. "Ich war mit den Vorschlägen nicht mehr einverstanden. Die entsprachen nicht meiner Person", erklärte sie damals der Presse. In der Folgezeit tanzte sie unter anderem in Balletten von William Forsythe und Maurice Bejart. "Giselle" entstand in Paris und wurde 1841 in der damaligen Pariser Oper uraufgeführt. Das Werk beruht auf einer von Heinrich Heine übermittelten Legende. Die beiden Choreografen Jean Coralli und Jules Perrot griffen das Thema auf. Mehr als 100 Inszenierungen wurden seitdem weltweit aufgeführt. Viele dieser Aufführungen werden in der "Giselle"-Ausstellung dokumentiert. So gibt es Premierenbilder von der berühmten Choreografie durch Marius Petipa in Sankt Petersburg (1884). Die Schau schließt mit der Inszenierung von Eric Quillere in Marseille vom Mai letzten Jahres. (APA/dpa)