So gut haben sich die Schwarzen schon lange nicht gefühlt. Die Stimmung beim dreitägigen Zukunftskongress der ÖVP im Tiroler "Denkdorf" Alpbach war gelöst wie schon seit Jahren nicht mehr, was nicht nur die strahlende Wintersonne bewirkt hat. Erstmals seit vielen Jahren findet sich auf die Frage "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?" für schwarze Frauen und Männer eine weitgehend befriedigende Antwort. Die Soll-Wirklichkeit in der Eigenwahrnehmung der ÖVP war es nämlich seit jeher, den Kanzler zu stellen. Das macht Kanzlerbringer Wolfgang Schüssel in der Partei fast übermächtig stark und lässt vieles aus der Vergangenheit vergessen. Natürlich auch die Tatsache, dass ihm dies nicht aufgrund von Stimmengewinnen und nur mithilfe der früher so verhassten Blauen gelungen ist. Diese werden mittlerweile von Schüssel ohnedies zu Tode therapiert. Wie überhaupt die Therapie eine der Hauptstärken des ÖVP-Bundesparteiobmanns und Kanzlers zu sein scheint. Mit superfaserschmeichelweicher Stimme predigte er auch in Alpbach die von ihm stets so hochgehaltene Tugend der Gelassenheit und fügte ihr eine neue hinzu, jene der Mäßigung in Form der Suche nach der neuen Mitte. Wo die genau angesiedelt ist und an welchen politischen Taten sie konkret festzumachen ist, wurde im Denkerdorf nicht genau verraten. Aber das haben Zukunftskongresse aller Parteien noch dazu zu Beginn eines politischen Jahres an sich. Jeder weiß nämlich genau, dass die politische Realität des alltäglichen Krams und der Streitereien ziemlich rasch wieder zuschlägt. Wie man politische Psychopillen gekonnt verabreicht, haben auch Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat und ihre Crew gut gelernt. Mithilfe von Cyberpantomimen, entsprechenden Wandprojektionen und Unterlegungen, die beim Abschlussreferat des Parteichefs als eine Art Strahlenkranz erschienen, wurde der Kongress in Alpbach perfekt inszeniert. Schüssel selbst stärkte das Selbstbewusstsein der eigenen Leute mit Aussprüchen wie "Wir halten jeden Vergleich aus" und "Die Kleinen waren es, die Europa groß gemacht haben". Die Wahrnehmung der Widersprüche wurde geschickt verdrängt. So wurde beispielsweise mit großen Worten und mit Ausdauer eine Sozialcharta diskutiert, und man gab hehre Bekenntnisse zur ökonomischen Selbstständigkeit der Frauen in allen Phasen ihres Lebens ab. Dass Arbeitsminister Martin Bartenstein soeben die Notstandshilfe per Erlass gekürzt hat und diese Maßnahme in erster Linie Alleinerzieherinnen trifft, wurde nicht erörtert. In diesem Zusammenhang war die Aufforderung Schüssels, einen Teil der Münzen beim Wechsel vom Schilling auf den Euro zum Ausbau Österreichs zu einem "Menschlichkeitsstandort" zu spenden, eine Verhöhnung. Mit ihrer Selbstwahrnehmung kann die ÖVP durchaus zufrieden sein. Wie lange die von Schüssel verabreichten Psychopillen für die Partei aber wirken, hängt vom Verlauf der nächsten Koalitionsreibereien und den Wahlergebnissen ab. (DER STANDARD, Printausgabe 15.1.2000)