Kulturschaffende fanden von 1933 bis 1938 auf der Flucht vor den Nazis in Österreich Aufnahme - ohne besonders erwünscht zu sein. Michael Cerha über ein wenig eindrucksvolles Kapitel Zeitgeschichte. Wien - Es ist bekanntlich nicht schwer, nachher klüger zu sein. Schon vorher klüger zu sein, ist allerdings wohl gar nicht so sehr eine intellektuelle Leistung als vielmehr ein Akt der Zivilcourage. Man steht da nämlich mit seiner Meinung allein. Es war ja zum Beispiel nicht so, dass Karl Kraus sich besonders beliebt gemacht hätte, als er, während zwei prominente Emigranten aus Deutschland - Bertolt Brecht und Bernard von Brentano - im Wiener Kaffeehaus auftauchten, die berüchtigten Worte sprach: "Die Ratten betreten das sinkende Schiff." Viel mehr Zustimmung durfte sich da schon Hermynia Zur Mühlen erwarten, wenn sie sich 1934 überzeugt zeigte, dass es in Österreich eine beruhigende Zweidrittelmehrheit gegen Hitler gebe. Zur Mühlen korrigierte ihre Ansicht zwei Jahre später, noch bevor der Lauf der Geschichte sie per Volksabstimmung ad absurdum führte. Im Licht dessen, was folgte, ist kaum eine andere Zeit an Absurditäten so reich wie die Jahre bis 1938, in denen viele deutsche Wissenschafter und Künstler im Nachbarland Österreich Zuflucht vor dem Nationalsozialismus suchten. Etwa ein Philosoph namens Theodor W. Adorno. Er bewarb sich um eine Stelle an der Universität Wien. Sie wurde ihm mit der kabarettreifen Begründung verwehrt, dass er zu wenig Publikationen vorzuweisen habe. Das erste, was die österreichische Regierung nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland unternahm, war eine Verschärfung der Einreisepolitik. Man erhöhte die finanziellen Hürden; Schikanen beim Zoll kamen hinzu. Und eine Art Sippenhaftung bei Einbürgerungsverfahren: Weil seine Tochter Erika in Bern als linke Kabarettistin auftrat und dies dem wachsamen österreichischen Botschafter vor Ort nicht entgangen war, wurde der Einbürgerungsantrag Thomas Manns abgelehnt. Obwohl dank der Vermittlung Alma Mahlers Bundeskanzler Schuschnigg um eine positive Erledigung bemüht war. Die systematische Erforschung Österreichs als Asylland zwischen 1933 und 1938 macht sich Ursula Seeber, die Leiterin der Österreichischen Exilbibliothek im Wiener Literaturhaus, seit rund zwei Jahren zur Aufgabe. Nach der Gestaltung eine Ausstellung im Vorjahr arbeitet sie derzeit gerade an der Fertigstellung einer Publikation zu dem Thema: Asyl wider Willen. Exil in Österreich 1933-1938 erscheint im April im Picus Verlag. Seitens der Bundesregierung gibt es das nicht ganz überraschende Interesse, eine einschlägige Wanderausstellung durch Europa zu schicken. Seeber wäre nicht abgeneigt, wenn die Administration der Exilbibliothek, die ihr allein obliegt, es nur zuließe. Prominente Liste Im Zuge der Forschung taucht kaum ein neues Detail auf, das nicht zumindest reizvolle Assoziationen zur Gegenwart auslöst. Denn dass Ödön von Horvath 1934 noch die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer beantragt hat, ist doch wesentlich unbekannter als die Tatsache, dass Glaube Liebe Hoffnung nur mehr in Wien (1936) uraufgeführt werden konnte. In einer zeitgenössischen Statistik rangiert Österreich 1935 an siebter Stelle der Fluchtländer in Europa. Bereits 1933 waren binnen kurzem 1000 Emigranten ins Land gekommen. Psychoanalytiker wie Wilhelm Reich oder Siegfried Bernfeld waren darunter, Theaterleute wie Max Reinhardt oder Rudolf Frank, Musiker wie Bruno Walter oder die Comedian Harmonists , deren jüdische Mitglieder ein Gastspiel im Ronacher 1935 zum Absprung benützten. Stattlich war die Liste der emigrierten Autoren: Alfred Polgar, Carl Zuckmayer, Franz Mehring, die Bestsellerautorin Joe Lederer oder eben Brecht. Thomas Mann bereitete seine (dann gescheiterte) Einbürgerung mit Lesungen im Wiener Konzerthaus vor. Unter beträchtlichen Störaktionen, von denen auch Oskar Maria Graf ein Lied zu singen hatte. Er war Vorstandsmitglied der "Vereinigung sozialistischer Schriftsteller", die nach der Bücherverbrennung in Deutschland (10. Mai 1933) bis zum Sommer mehr als 50 Protestveranstaltungen gegen die Barbarei organisierte. Graf musste Österreich 1934 wie Otto Bauer in Richtung Brünn verlassen. Dorthin fliehen zu müssen, konnte auch einem konservativen Hitlergegner wie Dietrich von Hildebrand widerfahren. Der Deutsche hatte in Wien die Zeitschrift Der christliche Ständestaat gegründet, im besten Einverständnis mit dem Dollfuß-Regime. Das Blatt scheiterte an den Bedenken von Kirchenfunktionären, dass die ständigen Angriffe gegen Hitlerdeutschland nicht opportun wären. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, wusste Ernst Bloch, was ihn aber nicht davor bewahrte, ebenfalls nach Österreich zu fliehen. Einen Reflex der Illusion, dass der Nationalsozialismus bald überstanden sein werde, bildete noch seine in Wien vollzogene Heirat. Man wohnte im Hochhaus in der Herrengasse. Karola Bloch war Architektin. Ihre erste, wahrscheinlich einzige Wiener Arbeit bestand in der Planung und Errichtung eines Hauses in der Himmelstraße. Auftraggeber war die Schauspielerfamilie Hörbiger. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 1. 2001)