Mitteleuropa-Romantiker glauben an die große Verwandtschaft von Prag und Wien. Gewiss, Tschechien und Österreich sind kleine Staaten mit einer ähnlich strukturierten Beamtenschaft, die so manche Angelegenheit auszusitzen versucht. In der Frage der Restitution jüdischen Eigentums etwa scheint das junge Tschechien beim 1000-jährigen Österreich in die Schule gegangen zu sein: Beantwortete man jenseits des Böhmerwaldes die Frage der Rückstellung mit "Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen", so lautete es nach 1989 diesseits des Böhmerwaldes: "Bei uns gibt es diese Frage gar nicht." Denn das 1991 erlassene Restitutionsgesetz umging elegant die NS-Konfiskation: Nur derjenige, der am Tage des kommunistischen Putsches, am 25. Februar 1948, Eigentümer war, konnte seinen Besitz zurückbekommen. Das jüdische Eigentum jedoch, nach 1939 geraubt, unterstand der nationalen Verwaltung. Denn jene, die Auschwitz überlebten, mussten nicht selten (wenn sie sich 1930 zur deutschen Nationalität bekannten) den gelben Stern mit der weißen Schleife tauschen: Das aufgedruckte "N" (für nemec = Deutscher) machte klar, dass der Träger an den Naziverbrechen mit schuld war. Dieser Personenkreis konnte nach dem Gesetz 128 aus dem Jahre 1946 auch nicht auf Rückstellung klagen. Vieles "privatisiert" Das 1939 konfiszierte jüdische Eigentum war nach dem Gesetz 87/1991 nicht rückstellungspflichtig - und wurde sogleich vom Staat für die Privatisierung freigegeben. Als es 1994 (v. a. auf amerikanischen Druck) zu einer Novellierung des Gesetzes kam, da war vieles schon in Händen "gutgläubiger" Käufer - und somit von der physischen Restitution ausgenommen. Man baute aber noch weitere Tücken ein: Uri Peled, Enkel des Brünner Juristen Arthur Feldmann, wusste, welche Stücke aus der Sammlung seines Großvaters in der Mährischen Galerie hingen. Er stellte einen Rückstellungsantrag, der aber abgewiesen wurde: Herr Peled sei kein tschechischer Staatsbürger und somit von der Rückstellung ausgeschlossen. Die gleiche Antwort bekam der Nachkomme des Ostrauer Kunstsammlers Oskar Feder zu hören. Sechs Jahre sollte es dauern, bis das Parlament diesen diskriminierenden Staatsbürgerschaftspassus - allerdings nur für Kunstwerke - strich. Nur direkte Erben Das neue Gesetz 212 aus dem Jahr 2000 wartet dafür mit einem anderen Fallstrick auf: indem man die Erbfolge drastisch einschränkte. Dadurch erübrigt sich die Rückstellung der wohl wertvollsten Sammlung in Prag: Der 1941 ermordete Industrielle Emil Freund hatte keine direkten Nachfahren, aber eine Sammlung die Signacs, Derains, Utrillos und weitere Spitzenwerke der klassischen Moderne enthielt. Der Besitzer, die Nationalgalerie, "restituiert" sie nun an das Jüdische Museum in Prag, das ja die Sammlung Freund 1944 von der Nazi-Treuhandstelle "bekommen hatte". Die kostbaren Bilder werden künftig neben Tausenden rituellen Kunstgegenständen lagern, welche die Nazis aus Böhmens und Mährens Synagogen, Gemeinden und Haushalten konfiszierten. Diese Objekte sind für Direktor Leo Pavlat unantastbar Eigentum des Jüdischen Museums. Mit den "neu erworbenen" Bildern aus der Nationalgalerie allerdings fühlt man sich nicht so wohl: Im kommenden September sollen sie ausgestellt werden. Angeblich um die Besitzer ausfindig zu machen. Denn die Suche nach den Erben wird vom zuständigen Kulturminister Pavel Dostal, bekannt für markige antisemitische Äußerungen, "in die Länge gezogen": Zwar hat man unlängst eine Liste mit rund 7000 Objekten, die man zurückzugeben gewillt scheint, samt verwirrenden Größenangaben ins Internet gestellt (unter www.restitution-art.cz ), dabei aber wohlweislich auf die - bereits eingescannten - Abbildungen verzichtet. Wie ernst darf also die Ankündigung verstanden werden, die Kunstwerke wirklich ihren ursprünglichen Eigentümern zurückgeben zu wollen? Unter Verschluss Die in Österreich seit einigen Jahren zugänglichen Vermögensanmeldungen für Juden enthalten mitunter Listen der Kunstsammlungen. Auch im Protektorat Böhmen und Mähren mussten in der NS-Zeit solche Verzeichnisse abgegeben werden. Bis zum heutigen Tage sind diese Akten aber selbst für die Nachkommen unter Verschluss. Sollte jemand dennoch alle Hürden überwunden und die Kunstwerke zurückerhalten haben, dann verbietet die Denkmalbehörde die Ausfuhr. Eine Vorgangsweise, die viele Jahrzehnte auch in Österreich gang und gäbe war. Jiri Waldes, Erbe einer der bedeutendsten Sammlungen tschechischer Moderne, umging diese Schwierigkeiten, indem er in den Jahren 1996-1999 mehrere Spitzenwerke der Nationalgalerie "schenkte"... (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 1. 2001)