Die ersten hundert Tage der Präsidentschaft von Vojislav Kostunica sind vorbei, doch in Jugoslawien hat sich noch nicht viel bewegt. Armut und Not, Mangel und Inflation prägen den Alltag der Menschen, politisch zeigen die Hintersassen von Expräsident Slobodan Milosevic ungeahntes Beharrungsvermögen. Die bösen Geister, die vor mehr als einem Jahrzehnt mit dem Machtantritt von Slobodan Milosevic gerufen wurden, sind immer noch aktiv. Am Wochenende zeigte sich der Oberböse sogar höchstselbst in der Öffentlichkeit und konferierte mit seinem Nachfolger Kostunica. Schlichte Angst vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat Milosevic aus seiner Burg getrieben, denn zuvor hatte der jugoslawische Justizminister Momcilo Grubac erstmals eine Auslieferung des Expräsidenten für "möglich" gehalten. Prompt ruderte Kostunica wieder einmal mit hoher Schlagzahl zurück: Eine Auslieferung sei wegen bestehender jugoslawischer Gesetze "unmöglich". Dennoch wird kein Weg für Jugoslawien daran vorbeiführen, Milosevic und seine Kamarilla vor Gericht zu stellen, wobei es nicht entscheidend ist, ob der Bösewicht in Den Haag oder in Belgrad zur Rechenschaft gezogen wird. Das Kriegsverbrechertribunal, eine ineffiziente und teure Institution, würde Milosevic, gemessen an Belgrader Haftbedingungen, ohnehin nur ein Komfortzimmer zur Verfügung stellen können. Dass der Mann aber für seine Verbrechen büßen muss, ist selbstverständlich. Zur Vergangenheitsbewältigung, zur politischen Hygiene und für einen Neubeginn muss der Staat die dunklen Kapitel der Zeitgeschichte anhand der Person Milosevic aufarbeiten. Auch um die Beantwortung der schmerzhaften Frage einer serbischen Kollektivschuld wird man sich nicht drücken können. Sonst werden die bösen Geister, die in Belgrad immer noch umherspuken, nie verschwinden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.01.2001)