Wien - Er ist jetzt 66 und verteidigt die Mitte. So vehement offenbar, dass er seine Retrospektive im Kunstforum zur Gänze unter dieses Motto stellt: "Die Verteidigung der Mitte". Adolf Frohner hat seine Mitte gefunden: "Meine Mitte ist sehr breit und groß und bestimmt nie den Rand der Kunst, dieser ist ausgefranst." Und darüber hinaus: "Die Künstler sollen ihre Mitte bestimmen. Ich bin für die Eigendefinition und für die Selbstbestimmung." Das mottogebende Bild hängt auch im Kunstforum. Die Mitte des Bildes ist leer. Um sie herum kreisen allerhand Körperfragmente. Sofern es sich dabei um Köpfe handelt, machen die keinen glücklichen Eindruck. Wie bei jedem richtigen Schlachtfeld dominiert Rot den Grund. Allerdings liegen die Fragmente der geschundenen Kreatur in einer recht stimmigen Ordnung verstreut. Was wiederum damit zu tun haben mag, dass die Mitte sie offensichtlich anzieht. Ein Loch, ein Sog, ein Maelstromwirbel. Oder einfach ein Fleischwolf. Im Gegensatz zu Walter Sedlmayer, der den Verlust der Mitte beklagte, sind die Frohnerschen Naturen da eher hineingeraten - selbstverschuldet oder durch widrige äußere Umstände.

Jedenfalls aber sind sie unfrei, ein dem Wesen nach hässlicher Zustand. Und - weiter frei nach Rosenkranz - wenn sie dahin geraten sind, weil irgendwer willkürlich Grenzen gesetzt hat, so ist das gemein, oder weil irgendwer ebenso willkürlich Grenzen aufgehoben hat, so ist das widrig. Frohner macht das im Bild ansehnlich anschaulich (in einer Mitte von Wahrheitsgehalt und ästhetischem Eigenwert). Und schlägt als Ausweg eine breite, eine selbstbestimmte Mitte vor: Den jeweils eigenen Abgrund, oder die, Gröberes verhindernde, Übereinkunft.

Das Bild ist 1994 entstanden. Frohners Zeit der Tafelbild-"Sprengungen" und Matratzenausweidungen ist vorbei, er selbst stellvertretender Rektor der damaligen Hochschule für angewandte Kunst, und, als Mitakteur des Wiener Aktionismus, Fixpunkt österreichischer Kunstgeschichte.

Zuvor noch kam die Phase der Körperbilder, der Hässlichen, der Verschnürten, der Amputierten, der sonstwie Verstümmelten. Sicher Frohners bis heute stärkster, oder auch zeitgemäßester Werkabschnitt. Da hat die vorhergehende aktionistische Auflehnung zu einer Form gefunden, die tatsächlich zu demaskieren im Stande war. Da hatte sein handwerklich perfektionierter Realismus noch Bezug zur real existierenden Gegenwart. Als Gegenbilder zum Werbeideal der Zeit, waren die Frohnerschen Darstellungen der entmenschlichten Existenz auf der Höhe ihrer Diskussion. Das hat die Mitte noch erschüttert. Da war Frohner noch exzentrisch in den Fransen.

"Im Wiener Aktionismus, um 1961, als ich meine Fremdgeherei begann, war es für mich ungeheuer notwendig, mit einer Matratze zu "bildhauern", diese hatte für mich viel mehr menschliche Nähe als Marmor. Wer schläft, liebt, gebiert und stirbt schon auf Marmor?" Vielleicht der, dessen Übereinkunft mit sich selbst und seiner Umgebung auf einer unerschütterlich breiten Basis ruht, die ihm ermöglicht, Circa 55 Schritte durch Europa zu tun. Im Anspruch, Schritt für Schritt seines eigenen Lebens als Materialschlacht für die Ewigkeit zu konservieren.

Dieser Anspruch mildert auch die Malereien der letzten Jahre. Der Ulysses als Stadtstreicher, Die Wiederkehr der großen Mütter: tadellose Bilder, korrekte Inhalte, manierlich vorgebrachte Warnungen. Schreie, die die Salons erschüttern.

Und: Der Mittwoch heißt deswegen so, weil die Kirche die neutrale Benennung der Wochenmitte, der ursprünglichen Bezeichnung Wodans-(Odins-)tag (wednesday) aus systemimmanent verständlichen Gründen vorzog.

"Meine Bilder sollen in erster Linie mich befriedigen. Kunst ist in dem Sinn eine Art von Selbstbefriedigung auf einer hohen geistigen Ebene. Natürlich habe ich gerne einen Betrachter, der sagt, dass es ihm auch gefällt - je mehr es sind, desto besser." 2000 hat Adolf Frohner dieses Zitat getan. Es war kaum noch prophetisch. Längst sind seine Arbeiten mehrheitsfähig geworden. Leider deshalb, weil sie den Bezug zur Gegenwart verloren haben. Oder ihnen die Tabus abhanden gekommen sind. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 1. 2001).