Wien - Mit bitteren Klagen verabschiedete sich im Dezember ein hochrangiger Mitarbeiter von Pino Arlacchi, dem Chef der UNO-Drogenkontroll- und Verbrechensbekämpfungsbehörde in Wien. "Von allen UN-Organisationen, für die ich gearbeitet habe, ist die UNDCP (Drogen- kontrollbehörde, Anm.) . . . die am schlechtesten gemanagte." Der elfseitige Brief, den Michael von der Schulenburg, Exdirektor der Abteilung Operationen und Analyse in der UNDCP in Wien, an seinen Vorgesetzten Pino Arlacchi - mit vier Durchschlägen für andere Arlacchi-Mitarbeiter - schrieb, war nicht für die Medien bestimmt. Es sagt viel über die Stimmung in der Wiener UNO aus, dass es nur wenige Tage dauerte, bis Auszüge des mit Vorwürfen gespickten Memorandums im Dezember erstmals in der italienischen Presse (La Repubblica) auftauchten. Hinter vorgehaltener Hand werden Schulenburgs Auslassungen bestätigt. Kein Wunder, dass - immer vorausgesetzt, die Behauptungen stimmen - Pino Arlacchi bei seinen Mitarbeitern nicht auf große Loyalität zählen kann. Unter der Überschrift "Personalpolitik" wirft ihm Schulenburg "Gleichgültigkeit, sogar Verachtung" seines Teams vor. Kritiker müssten die Rache Arlacchis fürchten - und um die Verlängerung ihrer Verträge oder, wenn sie längerfristige haben, dass sie versetzt werden, schreibt Schulenburg. "Nigeria scheint eine beliebte Destination für Unerwünschte zu sein." "Angst, Einschüchterung und eine völlige Abwesenheit von Transparenz" sei das Resultat. Er selbst, so Schulenburg, sei der siebte Direktor in drei Jahren, der die UNDCP verlasse. Probleme habe Arlacchi nur nicht mit Leuten, die ihm persönlich nahe stehen. Da gibt es plötzlich Verträge mit ganz außergewöhnlichen Bedingungen, wird dem STANDARD unter der Bedingung der Anonymität erzählt, etwa für eine Dame, deren Einstellung sich angeblich niemand so recht erklären konnte. Aber das Personelle stellt nur einen kleinen Teil dar: Gewichtiger sind die Anschuldigungen, dass Arlacchi durch sein Management der Glaubwürdigkeit der Behörde schwer schadet. Da ist die Qualitätsfrage überhaupt: Die Entwicklungs- und Analyseabteilung sei kaltgestellt, es gebe keine ordentliche Evaluation. Auch höhere Kader würden in Entscheidungen nie eingebunden. Arlacchi habe eine Vorliebe für "Konferenzen und Happenings", deren Resultate "oft fragwürdig" seien. Und, vielleicht am schwerwiegendsten, obwohl die UNDCP eines der "kleinsten UN-Programme" - mit etwa 60 Millionen US-Dollar Budget - ist, liebe es Arlacchi, mit großen Summen nur so um sich zu schmeißen, verbal, versteht sich. "Programme, die mit großem Trara angekündigt wurden, versinken still im Vergessen." Als vielleicht eklatantestes Beispiel führt Schulenburg Afghanistan an: Dort habe Arlacchi 1997 den Taliban-Behörden 250 Millionen Dollar für Alternativprogramme versprochen und daraufhin in New York verkündet, er habe das afghanische Drogenproblem gelöst. "Nichts von diesem Geld wurde aufgetrieben." Im Oktober 2000 wurden die UNDCP-Aktivitäten in Afghanistan wegen Geldmangels beendet. Pino Arlacchi, den der STANDARD selbstverständlich auch zu erreichen versuchte (Schulenburg nennt ihn einen "Abwesenheitsmanager"), bezeichnete in einem Interview mit La Repubblica (am 15. 12. 2000) die 250-Millionen-Geschichte als Gemisch von "Entstellungen und Lügen", "Wort für Wort aus Zeitungen" übernommen. DER STANDARD hat logischerweise auf der UNDCP-Homepage gesucht und ist in einer Presseaussendung vom 30. 10. 1997, letzter Absatz, fündig geworden: "Mr. Arlacchi gab auch eine neues 250-Millionen-Dollar-Programm für alternative Entwicklung in Afghanistan bekannt . . ." Also ist die Geschichte weder erfunden noch aus den Medien. (Arlacchi-Sprecher Sandro Tucci, vom STANDARD um eine Stellungnahme gebeten, bleibt dabei: In der Presseaussendung stehe, dass Arlacchi gesagt habe, wenn man 250 Millionen hätte, könnte man das Drogenproblem in Afghanistan lösen.) Es sei dem Ansehen der Behörde abträglich, wenn viel versprochen und wenig gehalten werde, so Schulenburg, und nicht nur Afghanistan sei betroffen. Wenn man dem Dokument glaubt, so fährt Arlacchi mit Gefolge (wie ein "afrikanischer Häuptling", sagte jemand zum STANDARD) in der Welt herum und macht Versprechungen, die die UNDCP nicht halten kann. Da setzt es dann manchmal böse Briefe. "Ich finde es verantwortungslos und unsensibel von der UNDCP, ein Projekt großen Ausmaßes zu beginnen und dann die Unterstützung zu entziehen . . . Ich bin fassungslos angesichts Mr. Arlacchis Weigerung, meine Briefe zu beantworten. Ich bin selten auf solche Unhöflichkeit und Gleichgültigkeit bei einem Chef einer internationalen Organisation getroffen", schreibt etwa die indische Sozialministerin Maneka Gandhi, von Schulenburg zitiert, an die Behörde. Arlacchi-Sprecher Sandro Tucci weist das ganze Schulenburg-Papier als Sammelsurium von Erfindungen und Entstellungen eines verärgerten Exmitarbeiters zurück, dessen Vertrag aufgrund von dessen Missverhalten - über das er keine Auskunft geben könne - gelöst wurde. Das Blut der Arlacchi-Kritiker in Wallung hat aber mehr als alles andere ein (später aufgegebenes) Projekt gebracht, das als "nebulöse Zahlungen an Captain Ören in Las Palmas über unser Büro in Moskau" bei Schulenburg nur mit einem Satz vorkommt. DER Standard brachte Folgendes in Erfahrung: Bei diesem Projekt, das mit rund 500.000 US-Dollar veranschlagt war und im Laufe seines kurzen Lebens verschiedene Namen und verschiedene Projektnummern trug, sollte ein Seglerfreund Arlacchis (Kapitän Dennis Ören) mit einem 91 Jahre alten Boot rund um die Welt geschickt werden - die Möglichkeit, per Internet Kontakt mit dem Segler aufzunehmen, sollte für die Drogenpräventionsarbeit bei Jugendlichen genützt werden (erster Projektname: "Alte und neue Technologie gegen Drogen"). Wie viel Geld dabei in den Sand gesetzt wurde, ist offen - immerhin wird berichtet, dass dem Captain, der keine Matura hat und zu einem wissenschaftlichen Projektentwurf nicht in der Lage war, außer seine Aufenthalte in Wien und übrige Arbeitstage auch 52.000 US-Dollar über das UNDCP-Büro in Moskau (warum?) bezahlt wurde. Auch Örens Frau Ulrica Mark sollte übrigens beschäftigt werden. Das Ören-Projekt dürfte nie ausgeschrieben worden sein, was bei einem Projekt dieser Größenordnung angeblich den UN-Regeln widerspricht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.1.2001)