Graz - Unter den schwierigen Lieferbedingungen des heimischen Biedermeier ist Johann Nepomuk Nestroy der wildeste, vermischteste aller Warenhändler. Wer bei ihm eine Posse mit Gesang pflichtschuldig in Auftrag gibt, bekommt das schlechte Gewissen gleich mitgeliefert: Die Ware, das erzählt auch Einen Jux will er sich machen , ist mangels Zutaten, die politisch haltbar wären oder auch nur ehehygienisch ratsam, schon vor der Zeit verdorben. Das wissen natürlich gerade die Grossisten mit dem buntesten Sortiment: Das Grazer Schauspiel, das sich im Moment mit dem Zimmern der großen Theaterkisten schwerer tut als mit den Gustierproben kleinerer Delikatessen, macht sich den Jux - unter einträglichen Bedingungen: Regisseur Kurt Palm kürzt die Posse um den nach Lebenserfahrung gierenden Mussi Weinberl auf das ökonomisch zuträgliche Maß herunter. Er nimmt die Couplets aus dem Angebot und macht die Kommerzialgehilfen, die Modistinnen und lustökonomischen Glücksritter zu nachträglich eingeschriebenen Mitgliedern seines in Wahrheit schon lange verblichenen "Sparvereins die Unzertrennlichen". Das führt etwa dazu, dass der Grazer Publikumsliebling Franz Friedrich in der Rolle des in Gemeinheit erstarrten Hausknechts Melchior den Wanst bedrohlich reckt, als wäre darin aller Weltschmerz für ihn unsichtbar aufgehoben: ein Ausflug ins Palm-Land also, wo mächtig aufragende Phettberge an die Himmelstüre rühren. Palm hält sein Anliegen jedoch klein und adrett: Er läuft unter der Ladentheke des Grossisten Zangler förmlich durch. Dieser (Erik Göller) wechselt cholerisch die Perücken wie andere Figuren nicht einmal das synthetisch knisternde Hemd. Man könnte mit einem gewissen Recht sagen, dass Nestroy zum entspannenden Auftakt seines Jubiläumsjahres sportlich unterfordert wird. So geringfügig sind Palms spielerische Gewinne indes nicht, als dass man ihn gleich zur "Mikrobe" erklären müsste. Hier irrte Richard Nimmerrichter, der zwar seinerseits ein Jubiläum feiert, zur Ewigkeit aber noch ein Stück weit hat. Nestroys Jux schillert in Grazer Lodenfarben: Handlungsvertreter wie Weinberl tragen Topffrisuren (Franz Solar); sie haben Gewölbe-Gehilfen in entzückend eckigen Hosenrollen (Regina Schweighofer). Die Mechanik des Türenschlagens und Fenstererkletterns ist von gemächlicher Sanftmut. In dieser Halbwelt, deren Glückskonsumgüter auf Renato Uz' Bühne in erhabener Schäbigkeit umverteilt werden, toben sich die Modetorheiten der Siebzigerjahre zum Wurlitzer-Orgelsound aus: als ewiger Gemütsfasching. Palms Theater feiert den Stillstand und ohrfeigt das Könnertum. Aber hinter den verdrießlich heruntergezogenen Mundwinkeln Weinberls zahnt ein böser Verdruss an der Hektik der Welt. Hinter den nervösen Schrullen esoterischer Diven in Chinaseide (Friederike von Stechow als Fräulein Blumenblatt) bleckt die Verweigerung von Mobilität und Anpassung ihre gewiss nicht milchweißen Zähne. Kurt Palm, der mit den Stadttheatern seinen Frieden gemacht hat, indem er ihnen seine Bedingungen diktiert, führt ein paar Nestroy-Bruchstücke sehr vergnüglich im Angebot; über die möglichen Kosten der Unterschlagung lässt er aber mit sich nicht handeln. Man muss faustdicke Krawattenknoten lieben wie die eigene Kindheit. Und pflichtschuldig eingewobene Schüssel-Witze kann man ja spätabends in das private politische Tagebuch übertragen. Am Schluss werden übrigens drei Ehen überstürzt geschlossen. Gevatter Tod nimmt persönlich die Versprechen auf. Wir stehen verzückt betroffen. Der Palm war da, und keine Fragen offen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 1. 2001)