Der Bundespräsident ernennt den Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung und die Staatssekretäre. So regelt die Verfassung die Regierungsbildung. Konventionen ergänzen die Konstitution: Die Regierungsbildung erfolgt im Anschluss an die Nationalratswahl. Der Bundespräsident beauftragt mit ihr den Chef der mandatsstärksten Partei. Beide sind politisch von den Parlaments- und Parteiverhältnissen abhängig. Bei absoluter Mehrheit ist der Spielraum des Bundespräsidenten gleich null. Bei relativer Mehrheit einer Partei nähert er sich um so mehr null, je mehr der Kanzlerkandidat sich auf eine Koalitionsmehrheit stützen kann. Der Bundespräsident akzeptiert in der Regel die vom designierten Kanzler ihm präsentierte Liste. Er wirkt auch nicht auf die Regierungserklärung ein. Rechtlich könnte er auch anders handeln: Da er die Regierung und den Kanzler jederzeit entlassen kann, bedarf sie nicht nur für ihr Entstehen, sondern auch für ihr Bestehen seines Vertrauens. Damit hat er Einflussmöglichkeiten auf die Zusammensetzung, die Regierungserklärung und die Geschäftsführung der Regierung. Wenn er diese Möglichkeiten nicht verwirklicht, so ist das nicht verfassungswidrig, Zurückhaltung ist Konvention.

Klestils und Khols Verfassungsbogen

Geht man vom derzeitigen Parteiensystem aus, so ergeben sich drei Koalitionsmöglichkeiten, die Koalition SPÖ- ÖVP, eine von SPÖ, Liberalen und Grünen und eine von ÖVP und FPÖ.

Der Bundespräsident hält alle Parlamentsparteien für regierungsfähig. Der Präsidentenbogen geht über den Khol'schen Verfassungsbogen hinaus. Aber Klestil sagte wiederholt, dass eine starke Regierung mit einer klaren Parlamentsmehrheit im Interesse Österreichs liege. Dem- entsprechend wird er nach der Nationalratswahl alle fünf Parteichefs zu "Vier-Augen-Gesprächen" in die Hofburg laden. Er wird sich an die Konvention halten, den Chef der mandatsstärksten Partei mit der Regierungsbildung zu betrauen. Das hat er versprochen, das wird er halten. Der bisherige Kanzler wird also wahrscheinlich mit der Regierungsbildung betraut und der nächste Kanzler werden.

Der Wählerwille und die Koalitionen

Aufgrund des Verhältniswahlrechts und des Parteiensystems sind Koalitionen notwendig. Die Wählerschaft kann nur wenig darauf einwirken. Die Koalitionen mögen sich ändern, die Koalition bleibt. Die Proportionen werden sich ändern, der Proporz bleibt. Realistischerweise sind die Koalitionsvarianten auf rot-schwarz und schwarz-blau reduziert und damit auf die Frage der Fähigkeit und Unfähigkeit zur Opposition. Die einzige Partei, die zu einer starken strukturellen Opposition geworden ist, ist die FPÖ. Sie ist diese Rolle gewöhnt und darauf auch als Mittelpartei trainiert. Ist sie für die Regierungsrolle vorbereitet?

Wenige in der ÖVP wollen in Opposition. Von 1970 bis 1983 war sie große Opposition; aber sie wollte damals immer in die Regierung, daher auch die Konzepte einer Konzentrationsregierung oder einer "Regierung der Besten". Jetzt ist die ÖVP kleiner, aber in der Regierung. Bleibt sie zweitstärkste Partei, so war sie erfolgreich, wird sie drittstärkste, wird sie trotzdem in der Regierung bleiben wollen. Eine schwarz-blaue oder blau-schwarze Alternative setzt einigen Wandel voraus, insbesondere einen diesbezüglich initiativen oder zumindest im zweiten Versuch der Regierungsbildung aktiven Bundespräsidenten. Denn der Chef der mandatsstärksten Partei bleibt voraussichtlich Viktor Klima. Schüssel nannte die FPÖ eine populistische Risikoalternative und wertet offenbar sie als paktierende Kalkulative. Aber er ist offen.

Bleibt die SPÖ mandatsstärkste Partei, so kann man andererseits von ihr wohl kaum den Gang in die Opposition erwarten. Manche verlangen ihn als Regeneration der SPÖ, als neue Weichenstellung der Politik in Österreich, als endlichen Wechsel der Regierungsform, aber für ihre Wähler wäre das wohl nicht verständlich. Sie regiert 50 Jahre. Warum soll sie sich ausgerechnet zur Jahrhundertwende durch Rollenwechsel wandeln?

Ein Wechsel der Regierungsform mag demokratiepolitisch gut sein. Führt aber der Rollenwechsel zur Reform des Staates und der Parteien? Hat die Oppositionsrolle seinerzeit die ÖVP gewandelt? Gewiss, es gab Programme, Pläne, Projekte für Reformen, aber ihre Strukturprobleme sind geblieben, vor allem ist die Führungsautonomie nicht größer geworden. Die Regierungsrolle hat freilich die SPÖ gewandelt. Regieren macht erfahrungsgemäß meist rechts, Opposition nicht so ohne weiteres links. Die SPÖ ist pragmatisch geworden. Aber was spricht dafür, dass sie in der Oppositionsrolle zur Grundsatzpartei und nicht zur opportunistisch-populistischen mutiert? Als voraussichtlich mandatsstärkste Partei wird sie Regierungspartei werden wollen.

Sicherheitsbedürfnis dominiert

Es spricht also einiges dafür, dass es keine realistische Alternative zur derzeitigen Koalition gibt. Meinungsbefragungen ergaben immer wieder die Präferenz der Wählerschaft dafür, der Bundespräsident ist für Kontinuität, die rot-schwarze Traditionskoalition entlastet. In einer Welt komplizierter Ungewissheit befriedigt sie das österreichische Sicherheitsbedürfnis. Die Sozialpartner sind auf sie eingespielt. Institutionelle Elemente wie das Einstimmigkeitsprinzip in der Bundesregierung und das Fehlen einer Richtlinienbefugnis des Kanzlers sprechen eher dafür als für andere Varianten. Außerdem braucht eine Koalition mehr als nur eine knappe Mehrheit. Es muss nicht eine Zweidrittelmehrheit sein; das soll es gar nicht sein. Denn sie verführt zum leichtfertigen Umgang mit der Verfassung, ohne dass es eine effektive Kontrolle gibt. Eine rot-schwarze Koalition ohne Verfassungsmehrheit ist das kleinere Übel und vielleicht auch das geringste von allen Koalitionsvarianten.

Was spricht dafür, dass andere Varianten mehr Innovation und Effizienz zur Folge haben? Die Art und Weise der Koalition mag sich ändern, aber der Proporz wird bleiben. So betrachtet ist die Regierungsbildung so einfach, dass wir vom Ausland beneidet werden. Sie wäre nach der Verfassung ja nicht einmal notwendig. Denn die Regierung braucht rechtlich nach einer Nationalratswahl nicht zurückzutreten. Die Verfassung schreibt ihr auch keine Amtsperiode vor. Äußerstenfalls wäre also das eine oder andere Mitglied auszuwechseln. Aber es ist schön, dass es Konventionen gibt.

Vor allem ist es schön, dass es Ritualien gibt, die daran erinnern, dass wir ein parlamentarisches Regierungssystem haben. Dazu gehört eben der Rücktritt der Regierung nach der Parlamentswahl. Dann könnte die Betrauung Klimas mit der Regierungsbildung erfolgen, der Rücktritt der Regierung, die Ernennung als einstweilige Regierung. Rücktritt der einstweiligen Regierung. Ernennung als definitive Regierung. Vorstellung im Nationalrat. Regierungserklärung. Schon heute sollten sich die Parteien vorbereiten. Denn bei aller Wahlkämpferei ist die Vorberatung und Vorbereitung doch für das Regieren das Wichtigste.

Professor DDr. Manfried Welan, Institut für Wirtschaft, Politik und Recht, ist Vizerektor der Universität für Bodenkultur in Wien.