Graz - Auf einer herrlich überbelichteten Fotografie aus den brüllenden Zwanzigern verpasst der Boxer Schmeling dem Dichter Brecht einen Kinnhaken: Der zärtliche Schlag ist unschwer als Freundschaftsgeste zu deuten, als Frotzelei unter Puff-Brüdern. In Wachstumsperioden der Modernität wie der Barbarei halten Sport und Kunst eifrig Hochzeit; das überlegene Bewusstsein des Kulturproduzenten giert instinktiv nach dem Besitz jener Rohgewalt, die, für sich besehen, des zureichenden Grundes entbehrt. Jemandem "auf das Maul zu hauen" ist gewiss kein zivilisatorischer Akt. Aber die bloße Setzung der verwerflichen Tat wirkt dem Stillstand der Verhältnisse oftmals sehr wirkungsvoll entgegen. So möchte man auch den prädadaistischen Lumpendichter Arthur Cravan, einen angeblichen Neffen des glamourösen Oscar Wilde, gerne ins Herz schließen für die Tatsache, dass er zwar inferiore Verse schrieb, sich als bekennender Amateursportler aber von dem Boxweltmeister Joe Johnson ordentlich durchprügeln ließ. Wir stehen auf schwankendem Dramengrund, denn der Berliner Oliver Czeslik hat der biografisch fragwürdigen Gestalt des Monsieur Cravan ein Drama hinterhergeschrieben, das dem Grazer Schauspiel eine Probebühnen-Anstrengung sinnlos, lustlos abnötigt. Das Boot "Monserat", auf dem Cravan und Leo Bronstein alias Trotzki 1916/17 gen New York schippern, ist ein historisch notdürftig abgesicherter Blech-Dramen-Laufsteg. Der wirre Schläger Cravan, den Stefan Maaß zu Hamlet, dem Seefahrer, gedankenbleich aufkratzt, muss die bösen Folgen der Weltpolitik wie die einer Beischlafintrige gleichermaßen am eigenen Leib verspüren. Czeslik und mit ihm Hausregisseur Ali M. Abdullah machen Cravan erst zum Entertainer: Hallo, alle miteinander! Schon verschluckt sich unser leutseliges Originalgenie vom Jahrhundertanfang am Mikrofon, diesem Hirtenstab des Jahrtausendausgangs. Kein Theatermacher, der heutzutage nicht vor der Telekratie inständig warnte; ein Zeigefinger füllt nur noch keinen Boxhandschuh. Cravan wird so zum Günther Jauch eines missverstandenen Brechttheaters erklärt. Hierauf zieht man ihn als Opfer die Wanten halbhoch, ein boxender Blut-Jesus der Moderne. Irgendwie hängt das Los der Weltrevolution am Tuchentzipfel in Kabinen, wo paranoide Flamenco-Tänzerinnen mit der Stirnlocke einer Carlo-Saura-Carmen (Frauke Steiner) nacheinander den Dichter, den Politiker und schließlich den Kapitän (Erhard Koren), einen Seebären mit dem Phlegma einer neufundländischen Robbe, auf die Pritsche ziehen. Man möchte Boxer werden! Man bittet um die Gnade eines Hirnschädel-traumas. Es nützt nichts. Uraufführungen wie diese werden durchgeboxt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 1. 2001)