Davos - Die Chefanklägerin des UNO-Kriegsverbrechertribunals für Jugoslawien, Carla Del Ponte, hat sich enttäuscht gezeigt über die Haltung des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica, den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic nicht dem Tribunal auszuliefern. Die serbischen Behörden wollten Milosevic weder nach Den Haag ausliefern noch durch das Den Haager Tribunal in Belgrad aburteilen lassen. Sie hätten darauf bestanden, dass Milosevic sich vor der nationalen serbischen Justiz verantworten muss, sagte Del Ponte am Freitag am Weltwirtschaftsforum in Davos. Ihre dreitägigen Gespräche in Belgrad seien hart gewesen, besonders die Unterhaltungen mit Kostunica, sagte Del Ponte. Sie habe allerdings den Eindruck gehabt, dass ihre anderen Gesprächspartner offener gewesen seien. Die Serben hätten die Kooperation mit Den Haag verweigert mit dem Argument, jede Zusammenarbeit sei destabilisierend für Jugoslawien, das erst vor Kurzem Milosevics Regime abgeschüttelt habe. Außerdem würden die nach Den Haag Ausgelieferten zu Helden. Opfer der NATO-Bomben Die Serben sähen sich selber als Opfer der NATO-Bomben und behaupteten, keine Kriegsverbrechen begangen zu haben, sagte Del Ponte. Sie sei dennoch zuversichtlich, dass die Auslieferung von Milosevic nach Den Haag erzwungen werde. Einzelne Befragungen könnten dann in Belgrad stattfinden. Die Schweizer Chefanklägerin befürwortete einen internationalen Strafgerichtshof, damit Diktatoren und Kriegsherren nicht weiterhin straflos ausgehen könnten. Das Beispiel Serbien zeige es sehr klar, sagte Del Ponte. Diktatoren spielten damit, dass sie ungeschoren davon kämen, auch wenn ihre Sache scheitere. Solche Menschen müssten vor Gericht, weil sonst die Rechtssprechung unvollständig bliebe, sagte Del Ponte. Die internationalen Gerichtshöfe für Ex-Jugoslawien und Ruanda sollten die Startpunkte für einen internationalen Strafgerichtshof sein. Es brauche eine Justiz, die Politiker treffen könne. Straflosigkeit halte Unrechtssystem am laufen Straflosigkeit sei der Treibstoff, der das Unrechtssystem am Laufen halte, sagte Pierre Sane, Generalsekretär von Amnesty International. Es gebe keinen Frieden und keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit. Wenn das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag erfolgreich sein wolle, müssten ihm die "dicken Fische" ins Netz gehen. Es habe allerdings die Akzeptanz des Gerichts geschwächt, dass Del Ponte nicht untersucht habe, ob die NATO mit dem Bombenangriff auf die serbische TV-Station in Belgrad am 23. April 1999 ein Kriegsverbrechen begangen habe. Del Ponte sagte, Vorabklärungen der Geschehnisse hätten ergeben, dass die Hinweise für eine Untersuchung nicht ausreichten. Zudem habe sie aus Serbien Informationen erhalten, dass die NATO Milosevic vor dem Angriff auf das Fernsehstudio gewarnt habe. Milosevic habe die TV-Techniker aber gezwungen, im Studio zu bleiben. Die NATO-Bomben, die 16 Menschen das Leben gekostet hätten, seien angesichts der Massengräber mit tausenden Opfern nicht prioritär für das Haager Tribunal, sagte die Schweizerin. (APA/sda)