Hormonfleisch, Dioxinhühner, Rinderwahnsinn – eine endlose Serie von Lebensmittelskandalen
rückt die Landwirtschaft ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Dass man mehr auf Quantität
als auf Qualität setzte, hat in allen Ländern der EU zu gravierenden Fehlentwicklungen
geführt. Die Zukunft der Landwirtschaft ist längst keine Frage mehr, die nur den ländlichen
Raum betrifft, sie ist ein zentrales Problem unserer Zivilisation. Maßgeblichen Anteil
an den agrarpolitischen Missständen hat in Frankreich der allmächtige Bauernverband
FNSEA. Er kontrolliert nahezu alle amtlichen und halbamtlichen Agrarinstitutionen
und drängt den zuständigen Ministerien seinen Willen auf.
Wie
viele Rinderzüchter haben dem FNSEA-Präsidenten Luc Guyau ihren Mitgliedsausweis
zurückgeschickt, nachdem er am 7. November 2000 eine „Notschlachtung aller vor dem
15. Juli 1996 geborenen Rinder“ forderte. Mit dieser Reaktion auf die Panik im Gefolge
der zahlreichen BSE-Fälle habe Guyau den Bauern einen „Dolchstoß in den Rücken“ versetzt,
klagte ein Funktionär der Landwirtschaftskammer, der – wie so oft im Agrarmilieu,
wenn von der FNSEA die Rede ist – lieber anonym bleiben will. Die Rechnung wird der
größte Bauernverband Frankreichs vermutlich bei den kommenden Wahlen zur Landwirtschaftskammer
am 31. Januar dieses Jahres präsentiert bekommen.
Was
wollte Luc Guyau mit seinem Vorstoß erreichen? Wollte er den Staatspräsidenten
überbieten, der ein Totalverbot von Tiermehlen gefordert hatte? Hoffte er, die öffentliche
Aufregung zynisch ausbeutend, die Regierung nötigen zu können, die Umstrukturierung
des seit Jahren kriselnden Rindfleischsektors zu finanzieren? Wollte er vergessen
machen, dass seine Gewerkschaft es noch bis vor kurzem vorzog, die Ausbreitung der
Bovinen Spongiformen Enzephalopathie zu vertuschen und herunterzuspielen. Wollte er
– als Milchproduzent – die intensive Milchkuhhaltung, eine Ursache des Rinderwahnsinns,
aus der Schusslinie bringen, indem er die Schmach auf die gesamte Rinderzucht ausweitete?
Wollte er von der Verantwortung der Futtermehlhersteller ablenken, die ein vitales
Interesse an der Intensivtierhaltung haben? Oder wollte er durch seinen vernunftwidrigen
Vorschlag nur illustrieren, was sich seiner Meinung nach in den Ställen Frankreichs
abspielt?
Man
wird sich kaum an einen Gewerkschaftsführer erinnern, der seine Klientel derart
in Verruf gebracht hätte wie Luc Guyau. Sicher ist jedenfalls, dass er versucht, die
Initiative zurückzugewinnen und den Berufsstand abermals unter der gängigen FNSEA-Parole
zusammenzuschweißen, die da heißt: „Der Staat tut nicht genug.“ Oder kürzer: „Geld
her!“ Also wieder das alte Spiel: Jene traditionelle demagogische Falschmünzerei,
die den kleinen Bergbauern mit den Agrarmanagern in den weiten Getreideebenen zur
Schicksalsgemeinschaft zusammenlügt. Doch zunächst und vor allem geht es Guyau darum,
dem Steuerzahler unter Verweis auf die finanziellen Schwierigkeiten der anständig
wirtschaftenden kleinbäuerlichen Betriebe die Rechnung für die Fehlentwicklungen einer
bereits hoch subventionierten Intensivlandwirtschaft zu präsentieren. Im Klartext:
Nachdem der Steuer zahlende Bürger dafür gezahlt hat, dass er sich vergiften und die
Umwelt verschmutzen ließ, soll er nun ein zweites Mal blechen, um einer kleinen Gruppe
von Agrarunternehmern die Kassen zu füllen, die ohnehin schon Dauersubventionen beziehen.
Bekanntlich
werden die „öffentlichen Beihilfen an die produzierende Landwirtschaft“
in Frankreich sehr ungleich verteilt: 20 Prozent der Landwirte streichen 62 Prozent
der Gelder in Höhe von insgesamt 73 Mrd. Francs ein
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, wohingegen jeder vierte Bauer
leer ausgeht. Erinnert sei an die „Grünlandprämie“ in Höhe von 300 Francs je Hektar
in der Rindermast, an die 2 500 Francs je Hektar Silomais oder Getreide in der Intensivtierhaltung,
an die 3 800 Francs je Hektar Eiweißpflanzen in der bewässerten Landwirtschaft. Diese
Agrarpolitik, die Quantität auf Kosten von Qualität fördert, ist nicht vom Himmel
gefallen, sondern wird seit vierzig Jahren von der FNSEA mit der jeweiligen Regierung
in Paris ausgehandelt und einvernehmlich umgesetzt.
Mit
Ausnahme der Agrarbetriebe in den großen Getreideanbauebenen war die französische
Landwirtschaft am Ende des Zweiten Weltkriegs von kleinen Bauernhöfen geprägt, die
kaum oder überhaupt keine Maschinen einsetzten. Die Anbauflächen waren stark zersplittert.
28 Prozent der Erwerbsbevölkerung arbeitete auf einem der 2,3 Millionen Höfe – derzeit
sind es noch 680 000 –, aber die Agrarproduktion konnte den Bedarf nicht decken. Frankreich
hungerte. Am 1. Januar 1946 wurden wieder Lebensmittelkarten eingeführt, die bis Februar
1949 in Gebrauch blieben.
Staat
und Regierung predigten die Intensivierung der Landwirtschaft durch Einsatz
technischer Hilfsmittel und massive Investitionen. Um die nötigen Darlehen zu verteilen
und moderne agronomische Kenntnisse zu vermitteln, brauchte die Politik einen Ansprechpartner,
der als Transmissionsriemen funktioniert. Zu diesem Zweck förderte sie die Schaffung
einer Einheitsgewerkschaft für die gesamte Bauernschaft. Die Fédération Nationale
des Syndicats d’Exploitants Agricoles (FNSEA) wurde 1946 auf dem Mythos der „Bauerneinheit“
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begründet, sollte also die Interessen des bretonischen Halbpächters ebenso vertreten
wie die des Weingutbesitzers im Bordelais. Es war das erklärte Ziel der FNSEA, als
berufsständische Organisation auf die Politik Einfluss zu nehmen. Die Petain-Ära lässt
grüßen! Der organisatorische Aufbau der bäuerlichen Syndikate sah denn auch so aus,
dass die nationale Föderation sich aus lokalen Organisationen (eine je Kanton) zusammensetzt,
die jeweils einen Wahlbezirk abdecken.
Zwei
Entscheidungen sollten die Modernisierung der französischen Landwirtschaft beschleunigen:
zum einen die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) durch Unterzeichnung
der Römischen Verträge am 25. März 1957, zum anderen die nationale landwirtschaftliche
Rahmengesetzgebung der Sechzigerjahre. Der in Rom beschlossene Gemeinsame Agrarmarkt
trat im Juni 1960 in Kraft, praktisch zeitgleich mit dem Rahmengesetz vom Juli desselben
Jahres. Letzteres wurde, zunächst unter Landwirtschaftsminister Edgard Pisani 1962
nachgebessert und ergänzt, zum Ausgangspunkt umfangreicher Reformen, die die Landwirtschaft
noch heute prägen: Die Oberaufsicht über die Nutzflächen wurde den Landwirtschaftlichen
Entwicklungsgesellschaften (SAFER) übertragen, die ein Vorkaufsrecht besitzen; es
wurden detaillierte Vorschriften erlassen, die eine Konzentration von landwirtschaftlichen
Nutzflächen und Betrieben in einer Hand regulieren und beschränken; Brachland wurde
der Bewirtschaftung zugeführt; eine Neuregelung der Landpachtverträge stärkte die
Rechte der Bauern; Marktordnungen regelten die Produktion der wichtigsten Agrarerzeugnisse;
die öffentlichen Beihilfen wurden an bestimmte Bedingungen geknüpft (Betriebsgründung
oder -erweiterung, Intensivierung der Produktion); neue Rechtsformen ermöglichten
genossenschaftliche Zusammenschlüsse; finanzielle Anreize sollten ältere Landwirte
veranlassen, in den Ruhestand zu gehen (Entschädigungszahlungen).
Der
Berufsstand, repräsentiert durch die FNSEA und ihre Jugendorganisation – das
„Nationale Zentrum der jungen Landwirte“ (CNJA) mit seinen departementalen Gliederungen
(CDJA), die wiederum stark von der Katholischen Bauernjugend (JAC) beeinflusst waren
–, schluckte diese gesetzlichen Regelungen. Aber der Staat ging noch einen Schritt
weiter: Er betraute die Vertretung der Landwirte mit der Umsetzung seiner Politik.
Es wurde gesetzlich vorgeschrieben, in allen einschlägigen Behörden und Institutionen,
auf jeder Verwaltungsebene einen Gewerkschaftsfunktionär zum Leiter zu ernennen. Damit
entstand ein veritables Co-Management von Staat und FNSEA, das bis zum heutigen Tag
andauert. Das erklärt die schlechte Angewohnheit der Bauernfunktionäre, bei jedem
Problem zum Minister zu laufen – den man sogar als obersten Dienstherrn zu bezeichnen
wagt –, anstatt über das eigene Tun zu reflektieren und die Dinge selbst in die Hand
zu nehmen.
Die
FNSEA hat das Land also seit 50 Jahren fest im Griff. Gestützt auf die Fortschritte
in der angewandten Tier- und Pflanzenforschung, setzte sie ihre Vorstellung von landwirtschaftlicher
Entwicklung durch und propagierte eine forcierte Mechanisierung der Produktion. Mit
diesem auf quantitative Leistungssteigerungen reduzierten Fortschrittsverständnis
begann eine produktivistische Flucht nach vorn, die – um nur ein Beispiel zu nennen
– in der intensiven Milchkuhhaltung endete. Gedopt mit Silomais, Mineralien-Ergänzungsfutter
und Tiermehlen, hat eine Hochleistungskuh je Laktation (305 Tage) 10 000 Kilogramm
Milch zu geben, bevor sie im Alter von vier Jahren ins Schlachthaus wandert. Eine
unter normalen Bedingungen gehaltene Kuh hingegen, die im Sommer auf der Weide steht
und im Winter mit Heu gefüttert wird, gibt „nur“ 5 500 Kilogramm Milch und wird rund
zehn Jahre alt.
Die
FNSEA verkündet aus ihrem Hauptquartier (11 rue de la Baume im 8. Pariser Arrondissement)
gebetsmühlenartig, in Frankreich gebe es nur eine Landwirtschaft, die diesen Namen
verdiene, und nur eine Weise, den bäuerlichen Beruf auszuüben – die ihre. Und wer
sich in dieses Prokrustesbett nicht einspannen lässt, hat keine Chance: keine Darlehen,
keine Beihilfen, keinen Absatz über die Erzeugergemeinschaften. Er muss sich mit unendlichem
Papierkram herumschlagen und kann sicher sein, im Falle eines Bankrotts am Pranger
zu stehen. Sollte sich ein schwarzes Schaf trotz aller Hindernisse, die man ihm in
den Weg legt, doch irgendwie durchschlagen, wird die Gerüchteküche angeheizt: Er geht
nicht zur Messe; er ist nicht verheiratet; seine Frau ist keine von uns; er hat doch
keine Ahnung; sein Vieh sieht gar nicht gut aus. Neuerdings muss sich solch üble Nachrede
auch die nachhaltige Landwirtschaft
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gefallen lassen. Wegen ihrer extensiven Bewirtschaftungsweise
als „flächenfressend“ verschrien, sieht sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, niederlassungswilligen
Jungbauern das Land wegzunehmen. Eine besonders ungerechtfertigte Anschuldigung, wenn
man weiß, dass Zuchtbetriebe, die auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise umstellen,
im allgemeinen nicht mehr Fläche verbrauchen, sondern den Viehbestand abbauen.
Funktionäre unter sich
Dagegen zeigt ein Blick auf die Agrarstatistiken der Vendée (der Heimat des FNSEA-Präsidenten),
dass die durchschnittliche Nutzfläche intensiv wirtschaftender Betriebe zwischen 1979
und 1997 von 23 auf 63 Hektar angestiegen ist
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(wobei der Landesdurchschnitt 1997
bei 42 Hektar lag). Die Zahl der Betriebe ging im Zeitraum 1979 bis 1998 von 23 835
auf 9 733 zurück – eine Entwicklung, die den evidenten Umstand illustriert, dass seinen
Betrieb nur erweitern kann, wer seinen Nachbarn schluckt. Von 1992 bis 1999 gab in
der Vendée jeder fünfte Landwirt seinen Hof auf.
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Ob in den Landwirtschaftskammern,
der „grünen Bank“ Crédit Agricole oder der Sozialversicherung für Landwirte (MSA),
ob in den Landentwicklungsgesellschaften, den Betriebsgründungsausschüssen, den technischen
Instituten oder den Genossenschaften – die Gewerkschaft hält überall die Fäden in
der Hand. Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, sich als Bauer niederzulassen, ohne
durch das kaudinische Joch der Föderation zu kriechen. Ebenso schwierig ist es, aus
dem Verband auszutreten, ohne von den Nachbarn geschnitten zu werden.
Aber
lassen wir die Statistiken und unternehmen einen Ausflug in die Vendée, wo Luc
Guyau im Rahmen einer GAEC-Kooperative
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einen 100 Hektar großen Hof bewirtschaftet.
Der Milchbauer darf jährlich 320 000 Liter absetzen, kein Wunder also, dass er noch
elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten britischen BSE-Fälle im Jahre 1985 den zweifelhaften
Mut aufbrachte, vor den Abgeordneten des parlamentarischen BSE-Untersuchungsausschusses
die Verfütterung von Tiermehl zu verteidigen. Mit dem fadenscheinigen Argument, auch
die Landwirte hätten ein Recht auf moderne Produktionsweisen, behauptete der FNSEA-Präsident,
es sei „unmöglich, die Tiere das ganze Jahr über mit Grünfutter zu ernähren“. Damals,
im Juli 1996, fand sich nicht ein Abgeordneter, der den „Präsidenten der Landwirte“
daran erinnert hätte, dass Kühe Pflanzenfresser sind, dass sie in der warmen Jahreszeit
normalerweise auf der Weide stehen und im Winter Heu fressen, das der Bauer vorsorglich
eingefahren haben sollte.
Hier
also sind wir in der Vendée, wo der Präsident alle strategischen Posten mit
seiner Gefolgschaft besetzt hat. In der Vendée, wo auch die Männer herstammen, mit
denen er seine Machtposition auf nationaler Ebene absichert. Zum Beispiel Joël Limouzin,
Vorsitzender des FNSEA-Departement-Verbandes (FDSEA), ein Schweinezüchter, der bei
einer Kontrolle aufflog, weil er mehr Säue hielt als erlaubt, und seinen Betrieb wegen
Verschmutzung einer touristisch wertvollen Landschaft verlagern musste. Oder Christian
Aimé, Schatzmeister der FDSEA und zugleich Generalsekretär der Landwirtschaftskammer,
Präsident der „Departementalen Vereinigung für die Strukturverbesserung landwirtschaftlicher
Betriebe“ (ADASEA) sowie Leiter der Dienststelle „Agrarentwicklung“ bei der departementalen
Landwirtschaftskammer.
Die
Vendée-Kameraden besetzen auch die obersten Funktionärsposten auf nationaler
Ebene. Der Vorsitzende der Rindfleischabteilung der FDSEA ist zugleich Präsident des
Nationalen Rindfleisch-Verbands (FNB) und Mitglied des Berufsübergreifenden nationalen
Büros für Fleisch, Vieh- und Geflügelzucht (Ofival). Der Vizepräsident des Nationalen
Verbands der Milchproduzenten (FNPL) sitzt im Berufsübergreifenden nationalen Büro
für Milch und Milcherzeugnisse (Onilait) und ist überdies Präsident des Instituts
für Viehzucht. Joseph Jauzelon sitzt im Allgemeinen Verband der Getreideproduzenten
(AGPB), einer mächtigen Interessengruppe. Daniel Rabiller, ehemals Präsident der Erzeugergemeinschaft Cavac steht heute an der Spitze des Nationalen Verbands der Erzeuger- und Futtermittelkooperativen (Syncopac), einer der beiden Verbände der Hersteller von Futtermitteln (Granulat, Mehle usw.). Alfred Besseau präsidiert dem Berufsübergreifenden Verband der Milchproduzenten (Cidil). Und diese Liste ist keineswegs vollständig.
Ob
im Milch-, Fleisch- oder Getreidesektor, ob in der Futtermittelherstellung oder
der Sozialversicherung, die entsprechenden Instanzen in der Vendée wie auf nationaler
Ebene befinden sich fest in der Hand der FNSEA. Wer mit deren Entscheidungen nicht
einverstanden ist, hat nur das Recht, das Maul zu halten. Die anderen landwirtschaftlichen
Gewerkschaften, die im Departement vertreten sind (die Confédération Paysanne und
die Coordination Rurale), haben in der Landwirtschaftskammer von Roche-sur-Yon nichts
zu sagen und werden nur zur Verabschiedung des jährlichen Haushalts eingeladen. Die
Leitlinien der regionalen Agrarpolitik werden anderswo beschlossen, hinter den geschlossenen
Türen eines zu 100 Prozent mit FDSEA-Mitgliedern besetzten Exekutivbüros. Jeder Vorschlag,
jede Überlegung, die nicht aus diesem Machtzentrum stammt, wird systematisch vom Tisch
gewischt. Eine Landwirtin aus der Region beschreibt die Situation folgendermaßen:
„Wenn ihnen aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit keine andere Wahl mehr bleibt,
versuchen sie, die Sache zu vereinnahmen und zu entschärfen und so zu tun, als wären
sie selbst auf die Idee gekommen. Das war beim Agrotourismus so, den sie anfangs als
Blödsinn hinstellten, das ist beim biologischen Landbau so, den sie auf kleine Inseln
beschränken wollen, und bei der nachhaltigen Landwirtschaft und den Territorialen
Nutzungsverträgen (CTE)
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sieht es nicht anders aus. Diskussion und Meinungsstreit
ist diesen Leuten fremd.“
Auch
in den eigenen Kreisen scheint alles vorab entschieden zu werden: „Nur ganz
wenige Mitglieder ergreifen das Wort, kaum jemand kommt zu den Generalversammlungen,
so dass man extra Einladungen verschicken muss, um das Quorum zu erreichen“, hört
man in den Gängen der Landwirtschaftskammer. Das Diktat der Gewerkschaftsspitze über
die Basis – erstaunlich bei Funktionären, die ständig die Vorzüge des Liberalismus
rühmen – findet sich in allen Instanzen, in denen die FDSEA der Vendée mitwirkt. Ein
Insider äußerte über Luc Guyau und Freunde: „Sie treffen sich sehr häufig mit dem
ein oder anderen Minister oder dem Staatspräsidenten. Da können Sie sich leicht vorstellen,
dass der Präfekt tut, was Guyau befiehlt, und es sich nicht herausnimmt, ihm in irgendeinem
Punkt zu widersprechen.“ Oft kennt die FDSEA-Führung die von der Bürokratie vorbereiteten
Verordnungen noch vor den zuständigen lokalen Behörden, weshalb es nicht selten vorkommt,
dass „sich der Präfekt oder der Verwaltungsdirektor für Landwirtschaft auf dienstlichen
Versammlungen beim Gewerkschaftsvertreter erkundigt, wie weit diese oder jene Durchführungsverordnung
gediehen ist“. Und wenn ein Bauer die Rechtsberatung der Landwirtschaftskammer in
Anspruch nehmen möchte, trifft er unweigerlich auf einen FDSEA-Funktionär, der sich
seiner Sache gern annehmen will – wenn der Hilfesuchende zuvor ein Beitrittsformular
unterschrieben hat.
Dass
eine derartige Monopolstellung vielfältigen Machtmissbrauch begünstigt, liegt
in der Natur der Sache. So hatte die FDSEA-Vendée mit dem Versicherer Groupama einen
Exklusivvertrag ausgekocht, der ihren Mitgliedern diverse finanzielle Vorteile bot
und einen Vertretungsdienst im Krankheitsfall organisierte. Unter dem Druck der Confédération
Paysanne musste Groupama die Exklusivklausel für alle Versicherten öffnen. Ähnliches
geschah mit den Landnutzungsverträgen (CTE: Contrats Territoriaux d’Exploitation):
„Die Landwirtschaftskammer wollte eine Reihe exemplarischer CTEs umsetzen, hatte aber
nicht eine Idee vorzuschlagen. Eines aber wusste sie genau, nämlich dass es zehn gute
Ideen gibt und wer sie umsetzen darf: sechs Projekte wurden für die FDSEA und ihren
Satelliten CDJA reserviert, drei bekam die Confédération Paysanne zugeteilt, und ein
Projekt ging an die Coordination Rurale.“ Nachgedacht wurde also lediglich über die
Aufteilung des Kuchens, denn die Nutzungsverträge versprachen reichliche Subventionen.
Mit der Bewertung der Projektanträge betraute die Landwirtschaftskammer ihre Dienststelle
für Agrarentwicklung (Suad), die fest in der Hand der FDSEA ist. Bis zum heutigen
Tag haben die Suad und die staatliche Landwirtschaftsdirektion des Departements (DDA)
allein den Antrag des Multifunktionärs Christian Aimé bewilligt, der sowohl in der
Landwirtschaftskammer als auch in der FDSEA und in der Suad sitzt (wie günstig, wenn
man zugleich Prozesspartei und Richter ist). Alle anderen Anträge liegen seit einem
Jahr auf Eis, ohne dass die Antragsteller erfahren würden, was einer Bewilligung im
Weg steht. Auf nationaler Ebene lässt es sich die FNSEA indes nicht nehmen, immer
wieder darauf hinzuweisen, dass das bereitgestellte CTE-Subventionsvolumen nicht ausgeschöpft
ist und man daher eine Neuverteilung ins Auge fassen müsse.
Gefräßige Erweiterungssucht
Nehmen wir das CTE-Projekt des Herrn Aimé etwas genauer unter die Lupe. Ein Kenner
der Akte weiß zu berichten: „Christian Aimé und einige andere Landwirte hatten im
Rahmen eines Bodenordnungsprojekts gewisse Auflagen zum Schutz von Feuchtgebieten
akzeptiert. Als das Projekt auslief, hätte Aimé durchaus eine Fortschreibung beantragen
können. Er entschied sich jedoch für die 500 000 Francs, die ein Landnutzungsvertrag
versprach, und erbot sich in diesem Rahmen, ein Flachsilo, einen Schuppen und eine
Holzabsperrung auf seinen Ländereien zu errichten. Dass die Landwirtschaftsdirektion
der Ansicht war, dieses Projekt erfülle die ökologischen Ansprüche eines CTE, erklärt
sich einzig und allein aus dem Umstand, dass der Antrag aus den Reihen der FDSEA stammt.“
Den vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck der Landnutzungsverträge – umweltgerechtes
Wirtschaften und Schaffung von Arbeitsplätzen – ließ dieses Projekt schwerlich erkennen.
Zum einen schuf es keinen einzigen Arbeitsplatz, zum anderen sind Aimés CTE-Flächen
integraler Bestandteil eines nach den Methoden der Intensivlandwirtschaft bewirtschafteten
Hofs von insgesamt 237 Hektar Nutzfläche. Der CTE diente hier offenkundig nur als
Vorwand, um Subventionen abzuzocken – ein Gebaren, das ein anderer Landwirt des Departements
so erklärt: „Die Landwirtschaft dieser Leute kann aus eigener Kraft kein ökonomisches
Gleichgewicht finden. Die stehen mit dem Rücken zur Wand und rennen nur noch finanziellen
Beihilfen hinterher, anstatt einzusehen, dass die Dinge so nicht weiterlaufen können
und es höchste Zeit ist, über eine andere Wirtschaftsweise nachzudenken.“
Zum
Abschluss unseres kurzen Ausflugs in die Vendée wollen wir uns den Orientierungsausschuss
für Agrarfragen des Departements (CDOA) ansehen. Er untersteht der Oberaufsicht des
Präfekten und hat neben der Festlegung des Agrarentwicklungsplans für das Departement
die Aufgabe, über landwirtschaftliche Projektanträge zu entscheiden, vor allem auch
über die Anträge junger Menschen, die sich als Bauern niederlassen möchten. Seit In-Kraft-Treten
des Agrarrahmengesetztes von Louis Le Pinsec im Juli 1999 stehen die Orientierungsausschüsse
nun auch den Verbraucher- und Umweltschutzverbänden offen, deren Vertreter auf Vorschlag
ihrer Organisationen vom Präfekten ernannt werden. Wie aber werden diese Bestimmungen
in der Vendée umgesetzt? In völliger Unabhängigkeit ernannte der Präfekt zum Repräsentanten
der Verbraucher Henri Guillet, einen FDSEA-Funktionär im Ruhestand, zum Vertreter
der Jäger Rémi Bossard – ein FDSEA-Mitglied, das gemeinsam mit seinem Sohn, in seiner
Eigenschaft als CDJA-Präsident ebenfalls im Orientierungsausschuss vertreten, eine
GAEC-Kooperative betreibt –, zum Vertreter der Vogelschutzvereinigung Gérard Piveteau,
ein weiteres Mitglied des Bauernverbands. So werden gesellschaftliche Fragen im Familienkreis
geregelt.
Reisen
wir ein wenig weiter nach Süden, in die Gironde. Dort entdecken wir einen
Bericht des regionalen Rechnungshofs, der die undurchsichtige Finanzierung der FDSEA
und ihrer Satelliten durch die Landwirtschaftskammer bemängelt. Seit 1999 muss die
Kammer daher offenlegen, in welcher Höhe sie welche landwirtschaftlichen Organisationen
bezuschusst. Jean-Pierre Leroy, örtlicher Sprecher der Confédération Paysanne, berichtet:
„Im Dezember 1999 erfuhren wir bei der Abstimmung über den Haushalt, dass die FDSEA
750 000 Francs, das CDJA 200 000 Francs und ihre gemeinsame Zeitschrift L’Avenir Aquitain
ebenfalls 200 000 Francs erhalten hatten.“ Des weiteren beklagt Leroy „die gefräßige
Erweiterungssucht der FNSEA-Mitglieder“, die zu Lasten der Niederlassung junger Landwirte
gehe.
Der
letzte Punkt lässt sich mit der erbaulichen Geschichte des Jean-Luc Ribette illustrieren,
der die Nachfolge eines in den Ruhestand gehenden Bauern aus Asques antreten wollte.
Nachdem sich Jean-Pierre Leroy des Falls angenommen hatte, nahm ihn die FDSEA unter
Feuer. Als ihn die Technische Kommission der landwirtschaftlichen Entwicklungsgesellschaft
(SAFER) zu einer Unterredung bestellte, waren drei weitere Landwirte anwesend, die
den fraglichen Hof unter sich aufteilen wollten. Leroy musste sich anhören, dass „man
einem Jungbauern nicht 44 Hektar überlassen kann“. Auf seine Einwände hin hieß es,
die drei Bewerber brauchten die Fläche, „um rentabel zu wirtschaften“, und zu guter
Letzt kam der Vorschlag: „Wenn Sie wollen, teilen wir nicht durch drei, sondern durch
vier.“
Da
Leroy auf diesen Kuhhandel nicht eingehen wollte (weshalb er den Kandidaten Ribette
so hartnäckig verteidigte, wollte den Honoratioren partout nicht einleuchten: „Der
Junge ist doch nicht einmal Bauer, sondern Sohn eines Arbeiters“), machte die FDSEA
bei der Landwirtschaftsdirektion ihren ganzen Einfluss geltend, um den Hof von der
Landkarte zu streichen und unter den drei anderen Bewerbern aufzuteilen.
Die
erhielten am Ende den Zuschlag mit der Begründung, Ribette besitze kein „vorläufiges
Eignungszeugnis“, ein Schriftstück, das der zuständige Minister normalerweise unterzeichnet,
wenn sich der Bewerber verpflichtet, sein Landwirtschaftsdiplom innerhalb der nächsten
acht Monate zu absolvieren. Eine Verpflichtung, die der Betreffende eingegangen war,
der überdies geltend machen konnte, dass er bereits zehn Jahre in der Landwirtschaft
arbeitete. Mit Unterstützung einiger Bauern und einer Geräte-Kooperative ist Ribette
vor kurzem doch noch zu seinem Hof gekommen, und zwar ohne öffentliche Beihilfen.
Die werden heutzutage bei der Hälfte aller neu gegründeten Betriebevorvorenthalten,
weil die Mehrheitsgewerkschaft diese als nicht „normengerecht“ einstuft.
Das
Ergebnis dieser Verstöße gegen die Demokratie: Ungeheure öffentliche Summen werden
verschwendet oder dem Willen des Gesetzgebers zuwider zweckentfremdet. Rinder werden
wahnsinnig, Geflügel und Säue mit transgenen Erzeugnissen gefüttert, mit Klärschlamm
gemästet, mit Antibiotika vollgestopft, mit Schwermetallen gespickt, die Gewässer
mit Nitraten und Pestiziden verseucht, die Landbevölkerung in die Flucht geschlagen.
Die Verantwortlichen für diese Art von Landwirtschaft bilden einen veritablen Staat
im Staate, während der eigentliche Staat sich aus der Verantwortung stiehlt. Seit
dreißig Jahren zwingen diese Leute der Natur einen mörderischen Rhythmus auf, mit
dem erklärten und teilweise realisierten Ziel, ihr Land in eine Agrarfabrik zu verwandeln.
Zur Ausbreitung der BSE-Krankheit haben sie geschwiegen, um den Rindfleischsektor
und die Futtermittelindustrie zu schützen, zu Lasten der öffentlichen Gesundheit.
Nun haben sie in der Person des Luc Guyau und manch anderen FNSEA-Funktionärs die
Stirn, nur ein Tiermehlverbot zu fordern, ohne das Agrarmodell selbst in Frage zu
stellen, welches dafür verantwortlich ist, dass sanftes Vieh zu Fleischfressern wurde.
Doch
seit der Attacke auf die McDonald-Filiale im südfranzösischen Millau, seit den
internationalen Großkundgebungen von Seattle, Millau, Bangalore und demnächst in Porto
Alegre, seit der Vernichtung von Feldern mit genmanipulierten Pflanzen und dem Rindfleischboykott
mischen sich die Bürger und Verbraucher in die Agrardebatte ein, um der Katastrophe
Einhalt zu gebieten und die wahren Bauern zu schützen. Die Zeit scheint reif, die
Landwirtschaft nicht mehr den Landwirten allein zu überlassen und schon gar nicht
der Kontrolle eines allmächtigen Bauernverbands, der sich als die letzte “Sowjetgewerkschaft“
dieses Landes kenntlich macht.
Dabei
ist zu fragen, ob die Bürger nicht eine Vertretung in der Landwirtschaftskammer
ihres Departments fordern sollten. Dann könnte auf der Prioritätenliste der Kammern
vielleicht schon bald ganz oben stehen, was inzwischen unabweisbar geworden ist: nachhaltige
Landwirtschaft, Landschaftspflege, Lebensmittelsicherheit. Auf dem Weg vom Feld zum
gedeckten Tisch sind vielfältige Entscheidungen zu fällen, über die Bewirtschaftungsweise,
über die Art der Nahrungsmittel, über die Raumnutzung. Und es wäre äußerst wünschenswert,
dass diese Entscheidungen auf demokratische Weise zustandekommen.
Deutsch von Bodo Schulze
1 Quelle: Agreste/ Landwirtschaftsministerium, November 2000.
2 Bereits 1945, noch vor der FNSEA-Gründung, spielte das Motiv der „Bauerneinheit“
eine wesentliche Rolle. So auch später unter dem ersten FNSEA-Präsidenten Eugène Forget.
3 Nachhaltige Landwirtschaft zeichnet sich durch eine boden-, pflanzen-, tier- umwelt-
und menschengerechte Wirtschaftsweise aus.
4 Quelle: Statistiken der Landwirtschaftskammer der Vendée, Januar 2000.
5 ebd.
6 GAEC: Groupement Agricole d’Exploitation en Commun.
7 Der „Contrat Territorial d’Exploitation“ (CTE) wird auf fünf Jahre zwischen einem
Bauern und dem Staat abgeschlossen. Es handelt sich dabei um die französische Umsetzung
der Agrarumweltmaßnahmen, die auf dem europäischen Ratsgipfel von Berlin im März 1999
beschlossen wurden. Als Gegenleistung für Finanzbeihilfen verpflichtet sich der Bauer,
sein Handeln an bestimmten sozioökonomischen und umweltpolitischen Zielen auszurichten.
Zu Ersteren gehört die Umstellung auf Qualitätserzeugnisse, die Aufrechterhaltung
des Beschäftigungsniveaus und die Diversifizierung seiner Produktion. Zu Letzteren
zählen ein verringerter Einsatz von Chemikalien, Maßnahmen gegen die Bodenerosion
und dergleichen mehr.