Neu Delhi - Rambhai Mulshankar will die Hoffnung nicht aufgeben. Der indische Goldschmied hat Soldaten zu den Trümmern seines
eingestürzten Hauses geführt, unter denen sein vermisster Bruder liegt. "Ich kann seine Hilfeschreie hören", sagte der 40-Jährige, der nach der
Bergung dreier Überlebender in seiner Heimatstadt Bhuj am Sonntag neue Hoffnung schöpfte. Im nahe gelegenen Ahmedabad hingegen
sanken zwei Tage nach dem verheerenden Erdbeben die Chancen auf eine Rettung weiterer Opfer.
In der Millionenstadt Ahmedabad waren am Sonntag noch mindestens 150 Menschen unter Trümmern und Schutt gefangen. Tausende
Rettungskräfte und Bewohner gruben mit bloßen Händen, Eisenstangen und Stöcken nach den Verschütteten. Verzweifelte Angehörige
machten die Behörden für den Mangel an Rettungsgeräten und den verspäteten Beginn der Bergungsarbeiten verantwortlich. "Wir haben nach
dem Erdbeben kostbare Stunden verloren", sagte Dhrumal Vaidya. "Sogar die Polizei ist erst sechs Stunden nach dem Beben eingetroffen."
Da die meisten Behördenvertreter zum Zeitpunkt der Katastrophe an Feiern zum indischen Nationalfeiertag teilnahmen, mussten viele
Bewohner die Rettungsarbeiten zunächst selbst in die Hand nehmen. "Die Stadt hat uns überhaupt nicht geholfen. Wir haben als Privatleute
einen einzigen Kran organisieren können", klagte Ashok Patel. "Wir brauchen mindestens zwei weitere Kräne, aber auf uns hört ja niemand."
Der Verkehrsminister des Staates Gujarat, Bimal Shah, erklärte, ein Teil der Ausrüstung sei in die nahe gelegene Stadt Bhuj gebracht worden,
die von dem Beben der Stärke 7,9 am schwersten betroffen war. "Ein Rettungseinsatz nach einem Erdbeben ist eine komplizierte Aufgabe.
Wir können die Leute nicht einfach planlos graben lassen, vor allem, wenn Opfer unter den Trümmern gefangen sind." In Ahmedabad wurden
bis Sonntag rund 400 Leichen geborgen. Die Hauptstadt von Gujarat war damit nach Bhuj am schwersten betroffen. Dort forderte der
Erdstoß vermutlich 10.000 Menschenleben.
Am Sonntag streunten herrenlose Hunde, Schweine und Kühe durch die Straßen von Bhuj. Zwischen den Trümmern der Häuser lagen
Matratzen und Kissen. In der Ruine eines Wohnhauses hing eine einsame Wäscheleine mit von Staub überzogenen Kleidungsstücken.
Tausende Bewohner waren unmittelbar nach dem Beben am Freitag aus der Stadt geflohen. "Wir laufen um unser Leben", sagte der 37 Jahre
alte Harjivan Vyas. "In der Stadt gibt es kein Trinkwasser und kein Essen mehr. Alle Häuser sind zerstört."
Vaidya gab den Behörden eine Mitschuld an den verheerenden Folgen des Unglücks. Baufällige Gebäude seien seit Jahren nicht mehr den
vorgeschriebenen Kontrollen unterzogen worden. "In letzter Zeit sind so viele Häuser eingestürzt, die die Vorschriften auf keinen Fall erfüllt
hätten", sagte der Kameramann. "Aber die skrupellosen Bauherren kommen ungestraft davon, und es muss erst zu einer Tragödie wie dieser
kommen, damit die Menschen merken, dass sie betrogen wurden."(APA/AP)