Wien - Nicht nur angesagte Revolutionen finden nicht statt, angesagte Skandale zum Glück - ebenso nicht: Die spanischen Cura-Feinde sind also in Madrid geblieben. Und haben auch nicht allzu viel versäumt. Zu Buhrufen gab es keinerlei Anlass. Da schon eher zu Jubel. Und damit brillierten die Wiener Cura-Enthusiasten beinah glanzvoller als dieser in seiner Partie. Natürlich ist José Cura ein eindrucksvoller Otello. Dies schon deshalb, weil er ihn nicht nur singt, sondern auch spielt. Allerdings fällt Letzteres in einer Inszenierung, in der für ihn und seinen sinistren Gegenspieler eigentlich nichts außer wildem Augenrollen und Fäusteballen angesagt ist, beinah schwerer als das Singen. Dazu erwies sich das Umfeld schon als ungleich besser: Kaum ein Dirigent versteht es gegenwärtig, den Sängern so behutsam, so selbstlos uneitel und so sicher über alle Fährnisse ihrer Partien zu helfen wie Marcello Viotti. Vor allem wenn die mit hörbarer Ambition im Orchestergraben werkenden Wiener Philharmoniker auf jeden seiner Winke auch gehorsam reagieren. Sogar José Cura mochte dies zugute kommen. Im ersten Akt klangen manche seiner Töne so, als wären sie noch auf Herbergssuche zwischen Kopf und Brust. Dieser mitunter etwas unsichere musikalische Eindruck wurde von Curas erfolgreichem Versuch, Otello nicht als strahlenden Helden, sondern mit kluger Psychologie als kriegsmüden Heimkehrer darzustellen, weitgehend neutralisiert. Dominanz der Routine Doch in dem Maß, in dem in den folgenden Akten der überlegene Großroutinier Renato Bruson mit seiner in jeder Hinsicht perfekten Jago-Schablone aufwartete, gewann Cura an stimmlicher Intensität und tenoraler Strahlkraft, in der er sich darstellerisch dem Diktat der Oberflächlichkeit anpasste. Dass dieser Abend zwar ein äußerst passabler, aber letztlich doch kein wirklich großer wurde, lag auch an der nicht eben glücklichen Besetzung der Desdemona mit Soile Isokoski. Sie hat die Lyrik, sie hat die Innigkeit, sie hat die vor allem bei den freien Einsätzen fulminant funktionierende Technik, doch sowohl musikalisch als auch in der Darstellung fehlt ihr der dramatische Drive, die Aktivität des Passiven. So wird das abschließende Würgen und Stechen zur unverbindlichen Symbolhandlung, der, ginge es nach musikalischen Kriterien, überdies jegliche Grundlage fehlte: Cassio, dessentwegen Otello ja in wilder Eifersucht entbrennt, ist in der Besetzung mit John Dickie wirklich keine Konkurrenz für José Cura. Daher blieb es nicht ganz einsichtig, warum der Stargast sichtlich geschlaucht und mit hängendem Kopf vor den Vorhang trat. Jedenfalls konnte man ahnen, wie gut er denn Otello künftig noch spielen wird. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29. 1. 2001)