Wien - Am Ende eines Jahrzehnts, dessen größtes Bestreben es war, ganz tief nach innen zu blicken, hinein in das Herz, den Magen, die Darmwindungen der sich selbst erfahrenden Menschenkinder, stülpte Ernst Jandl das Innerste nach außen - ohne dabei "Ich" zu sagen. Mit der "Sprechoper" Aus der Fremde stimmte er 1979 einen Abgesang auf alle zarten Seelchen an. Zog einen Schlussstrich unter ein Dezennium, das es sich in der "Neuen Innerlichkeit" gemütlich gemacht hatte.

Dabei ist Aus der Fremde, dieses mittlerweile zu Recht in den Rang eines modernen Klassikers aufgestiegene Auftragswerk für den steirischen herbst, das ichbezogenste Drama einer ganzen Epoche: der Alltag des Dichters als "Chronik der laufenden Ereignislosigkeit", als Beschreibung einer drückenden Depression.

Nicht die "Genialität" des Poeten wird gezeigt, sondern seine mechanische Bewältigung des Alltags. Ein Fausthieb für alle, die im Dichter noch immer den Seher erblicken. Jandl lässt allerdings einen "dreifachen Motor" an, um das Bühnenstück so weit wie möglich von sich zu weisen: Das Stück über ihn, Lebensgefährtin Friederike Mayröcker und einen Tiroler Großkritiker ist durchgehend in der dritten Person, im Konjunktiv und in Strophenform geschrieben. Spricht man über sich, ist das nur mehr aus größtmöglicher Distanz vorstellbar. Der literarischen (Post-)Moderne wird Tribut gezollt, auch durch Offenlegung der eigenen poetischen Verfahrensweise.

In der Gumpendorfer Gruppe 80 zählt dagegen in erster Linie die liebevolle Erinnerung an den im letzten Jahr verstorbenen Dichter - und dabei schaut man gerne zu: Regisseur und Hauptdarsteller Helmut Wiesner rückt Aus der Fremde ganz nah heran, zeichnet mit leichten Strichen die Umrisse von Personen, die sich an ihre realen Vorgänger schwermütig erinnern.

Auf der billigen Möbellandschaft von Ausstatter Gernot Sommerfeld, ein Inbild der Trostlosigkeit des Schriftstellers als schlecht gehendem Ein-Mann-Unternehmen, umsorgt eine treue Helga Illich als "sie" den Antidepressiva schluckenden Gefährten, umfuchtelt ein in sich ruhender Alfred Schedl als "er 2" den weite Jandl-Hosen (samt rot-orangen Socken) tragenden Helmut Wiesner.

Dieser versucht sich mit herbeigeredeter Kraft selbst zu disziplinieren - was naturgemäß schwer gelingt. Ein epischer Abend, ein schönes Jandl-Andenken. Gut, dass Aus der Fremde in Wien zu sehen ist. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 1. 2001).