Jerusalem/Wien - Müllberge türmen sich auf, Briefe kommen nicht an, Flugzeuge können nicht landen: Seit einer Woche streikt Israels öffentlicher Dienst. Ursprünglich hatte der Gewerkschaftsdachverband Histadrut eine Gehaltserhöhung von 16 Prozent für seine Mitglieder gefordert, nach Verhandlungen am Sonntagabend ermäßigte er auf sechs Prozent. Die Regierung bietet nun drei Prozent an. "Die Gewerkschaften versuchen, die Wahlkampfzeit zu nutzen, um bei der geschwächten Regierung schnell noch etwas herauszuholen", sagt Johannes Gerster, der für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem unter anderem die israelische Sozialpolitik beobachtet. "Außerdem ist es ein Auftrumpfen der Gewerkschaften, um ihre Mitglieder zu sammeln", meint Gerster gegenüber dem STANDARD. Israels Gewerkschaften erleben nämlich seit fast 20 Jahren einen Niedergang: Gewerkschaftseigene Unternehmen brachen zusammen, Mitgliederschwund griff um sich. Gehörten sie in den Anfangsjahren Israels zu den wichtigsten Stützen von Staat und Gesellschaft, so sind die Gewerkschaften heute nur noch bescheidene Organisationen. - Und statt den Staat zu stützen, unterminieren sie ihn nun mit ihrem gegenwärtigen Streik. Denn Israels Wirtschaft steckt wegen der Unruhen und des Einreiseverbots für palästinensische Arbeiter in der Krise. Indizien: Massenentlassungen im Tourismusgewerbe und ein prognostiziertes Nullwachstum. (jwo/DER STANDARD, Printausgabe, 30.1.2001)