Baroda - "Der Narmada-Damm hat keinen Schaden genommen", beeilte sich ein Sprecher des Chefministers von Gujarat sofort nach dem jüngsten verheerenden Erdbeben in Westindien gegenteilige Behauptungen zu zerstreuen. Doch Kritiker sind davon nicht überzeugt, und dies nicht nur, weil diese Erklärung zu einer Zeit kam, zu der das ganze Ausmaß des Bebens noch gar nicht absehbar war. Das Narmadatal liege an einer tektonischen Bruchlinie, jeder Staudamm würde daher die seismische Aktivität erhöhen, was wiederum die Stärke von Erdstößen beeinflusse, warnen Gegner des riesigen Projekts seit Jahren. Mehrere Dutzend große und Hunderte kleine Dämme sind im Narmadatal, dessen westlichster Teil nur rund 300 Kilometer vom Epizentrum des jüngsten Bebens entfernt liegt (siehe Grafik), in Bau oder geplant. Hunderttausende Menschen werden dadurch zu Vertriebenen im eigenen Land. Die in der "Rettet den Narmada"-Bewegung (NBA) zusammengeschlossenen Staudammgegner können sich, wie sie telefonisch dem STANDARD gegenüber betonen, nun auch auf erste Aussagen von Experten des nationalen Geophysischen Forschungsinstituts (NGRI) berufen. Denen zufolge bedürfe die Wechselwirkung zwischen den Dämmen und den tektonischen Bewegungen der Region einer noch viel genaueren Untersuchung. Risiko unterschätzt Indische Meteorologen betonen, dass insgesamt eine Neubewertung der bebengefährdeten Zonen im Land erforderlich sei. Sie geben auch zu, dass das Risiko in einigen Gebieten bisher unterschätzt und eine viel zu niedrige Warnstufe angesetzt worden sei, was zu einer sorglosen Planung und Entwicklung geführt habe. Dabei liegt fast der gesamte Subkontinent in einer hochaktiven seismischen Zone, erklärt T. K. Dutta, Professor am Indischen Institut für Technologie (IIT). Der am Fuß des Himalayas geplante Tehri-Damm soll nach Aussagen von Premierminister Atal Bihari Vajpayee nun jedenfalls auf seine Bebensicherheit hin untersucht werden. Aktivisten fordern das gleiche für das Narmada-Projekt, in dessen bisherigem Verlauf den Betreibern schon mehrfach mangelnde Planung nachgewiesen werden konnte, wenn es um die Auswirkungen auf die Umwelt oder die betroffenen Menschen ging. Doch noch, meint ein Kommentator des Indian Express resignierend, "hat Indien keine Lektion von seinen Begegnungen mit dem Massentod internalisiert". (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 2. 1. 2001)