Gerhard Roth

Eines fällt offenbar auch den scharfsinnigsten, scharfzüngigsten und spitzfedrigsten Berufsdenkern aus dem reaktionären Lager noch immer nicht auf: Die verschiedenen Maßstäbe, die sie an das Leben und die Kunst anlegen.

Im "öffentlichen" Leben werden der Begriff und die Praxis der Political Correctness befehdet und das so genannte Gutmenschentum an den Pranger gestellt, in kulturellen Fragen wird hingegen selbst eine Cultural Correctness propagiert und praktiziert, und zu ihrer Festschreibung hin und wieder auch eine aus dem Werkzusammenhang gerissene Äußerung eines Dichters zur Kampfphrase denunziert.

Verdränger und "Gutmenschen"

Einfach gesagt also: Ja zur Waldheimschen Scheuklappen-Methode der Auseinandersetzung um die Nazi-Vergangenheit, die sich bekanntlich in erster Linie durch industriellen Massenmord ihren festen Platz in der Geschichte verdient hat, ein immer deutlicheres Ja zur Partei des Kärntner Landeshauptmannes Haider, dessen Äußerungen und Taten zur Vergangenheits- und Ausländerfrage ihn inzwischen "weit über die Grenzen unseres Landes hinaus" bekannt gemacht haben (weit mehr jedenfalls als seine politischen Abhandlungen und kleinkarierten Ideen zusammen) -, und Ja zur Abqualifizierung und Denunziation all jener, die sich dagegen stellen als angebliche Proponenten der Political Correctness und so genannte Gutmenschen (wobei der Begriff bemerkenswerterweise gerade von politischen Christenmenschen immer als Schimpfwort verstanden wird).

Der FPÖ-Kulturexperte und Umvolker A. M. hätte sich inzwischen mit seinen Artikeln längst schon einen Doctor honoris causa in Fragen der Political Correctness verdient, und auch der sich bei gutem Wind weltoffen gebärdende ÖVP-Politiker a. D., Erhard Busek, sieht gerne das zwecks Verleumdung erfundene Gespenst der bösen Gutmenschen am Werk, die das arme, unschuldige Österreich im Ausland "heruntermachen" und ihm Schaden zufügen. Auf der anderen Seite besteht aber gleichzeitig eine geradezu mimosenhafte Feinfühligkeit auf bestimmte Erscheinungsformen der Gegenwartskunst, eine geradezu "prinzessin-auf-der-erbsenhafte" Sensibilität gegenüber nackten Körperteilen, Blut, Fäkalausdrücken, kirchenkritischen Äußerungen auf der Bühne, in denen man (ein bissl werteparanoid) eine Zersetzung der Moral wittert.

Wer aber das Leben in Moralfragen partiell enttabuisieren will, wie die Streiter gegen die Political Correctness, gleichzeitig aber Tabuisierung in der Kunst fordert, macht einen etwas stümperhaften Eindruck. Wer die "Faschismuskeule" in politischen Auseinandersetzungen beklagt, sie aber in kulturellen Bereichen - wenn auch zugegebenermaßen patschert - selbst schwingt, ist darüber hinaus auch politisch gefährlich.

Ein Ghostwriter beschwor Gespenster

Natürlich sind sehr viele Reden von Politikern das Produkt ihrer einstmals eggheads, zu Deutsch "Eierköpfe", genannten Berater und Mitarbeiter - auch Klestils Rede ist das mager geschabte Produkt eines solchen Ghostwriters, der seinen Beruf zu wörtlich genommen und Gespenster (statt Geist) herbei beschworen hat - vermutlich aus Unkenntnis des Hofmannsthalschen Gesamtwerks, oder um einen populistischen Coup zu landen und der allgemein herrschenden Borniertheit in kulturellen Fragen die journalistische Krone aufzusetzen.

Demonstration der Ahnungslosigkeit

Aber dass der Präsident der österreichischen Republik möglicherweise nicht gespürt hat, worauf er sich mit seiner feurig vorgetragenen Argumentation einlässt, demonstriert unfreiwillig seine Ahnungslosigkeit in künstlerischen Angelegenheiten. Sollte er sich jedoch mit dem Inhalt der Rede identifiziert haben, ist seine Ahnungslosigkeit wahrscheinlich noch größer. So oder so bleibt festzustellen: Es ist beeindruckend, auf welch kühne Weise der Bundespräsident sein Versprechen, ein aktiver Präsident zu sein, einlöst, in dem er es im Allgemeinen vorzieht zu schweigen und nur dort, wo es die größten Vorurteile in der Bevölkerung gibt, nämlich in Fragen der "modernen" Kunst, den mutigen Vorreiter spielt, der die Dinge ins rechte, reaktionäre, Lot rückt. Möge er denn weiter reiten wie sein unvergesslicher Vorgänger, als ein österreichischer Mann von la Mancha, ausgerüstet mit Trachtenhut, Gamsbart und Wetterfleck, im Galopp auf seinem klapprigen Ghostwriter, kühn den abgebrochenen Bleistift hinter dem Ohr, wider die eingebildeten, ängstlich gefürchteten, so gefährlichen Riesen und Ungeheuer aus dem Reich des Bösen - der "modernen" Kunst und ihrer Befürworter - bis auch er sich dereinst seinen ersehnten Platz in der an traurigen Gestalten so reichen österreichischen Geschichte erkämpft hat.

Gerhard Roth ist Schriftsteller. Sein jüngster Roman "Der Plan" erschien 1998 im S. Fischer Verlag.