Die Begnadigung des in den USA wegen Steuerbetrugs und anderer Vergehen zu insgesamt 325 Jahren Gefängnis verurteilten Rohstoffhändlers Marc Rich durch den scheidenden Präsidenten Bill Clinton am 19. Jänner hat in der Schweiz Empörung ausgelöst. Vor allem deshalb, weil, wie erst jetzt bekannt wurde, Spitzenpersönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sich bei Clinton für die Begnadigung von Marc Rich eingesetzt haben. "Ich kenne Herrn Rich seit einiger Zeit und kann bestätigen, dass er ein ehrlicher, aufrechter Bürger ist, der auch während vieler Jahre sehr wohltätig wirkte und deshalb hilfreich für unsere Gemeinden und unser Land im Allgemeinen war. Außerdem ist es Tatsache, dass er ein sehr fähiger und erfolgreicher Unternehmer ist." Dies schrieb der Zürcher Bürgermeister, der Sozialdemokrat Josef Estermann, in einem Brief an Clinton, den das Westschweizer Wochenmagazin l'Hebdo am Mittwoch publizierte. Auch weitere Prominente wie Pierre de Weck, Mitglied der Konzernleitung der größten Schweizer Bank UBS, die frühere Rektorin der Uni Zürich Verena Meyer oder der Basler Kunsthändler und Museumsleiter Ernst Beyeler sollen sich laut Magazinbericht für Marc Rich eingesetzt haben. Denn Rich ist nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann; er gilt auch als freigebiger Mäzen, der etwa das Zürcher Opernhaus großzügig unterstützt, guter Kunde des Kunsthändlers Beyeler ist und auch die Forschung fördert. Hilfe für Demokraten Doch freigebig ist er nicht nur den schönen Künsten und dem akademischen Nachwuchs gegenüber, sondern auch gegenüber der Politik. Über seine mittlerweile von ihm geschiedene Frau Denise hat Rich jahrelang die Demokraten in den USA unterstützt; mindestens eine Million Dollar (14,8 Mio. S/1,07 Mio. EURO) soll geflossen sein, schreibt die Zürcher Weltwoche. Rich kann es sich leisten; sein heutiges Vermögen wird auf mindestens 1,5 Milliarden Franken (13,76 Mrd. S/1 Mrd. EURO) geschätzt. Dass das Vermögen zumindest teilweise auf krummen Wegen zustande gekommen ist, das zeigt das Urteil aus den USA: Rich wurde 1992 zu 325 Jahren Gefängnis verurteilt. Er habe 48 Millionen Dollar an Steuern hinterzogen, illegal mit iranischem Öl gehandelt und damit das Handelsembargo gegenüber dem Iran gebrochen und schließlich unter Ausnützung seiner Marktmacht den Ölpreis zu manipulieren versucht. Das Urteil gegen Rich erging in Abwesenheit - der Händler war nach der Anklageerhebung in die Schweiz geflüchtet, wo er sich im steuergünstigen Kanton Zug niederließ und seine Geschäfte weiterführte. Doch die Schweiz wurde dem Wirtschaftsflüchtling zum goldenen Käfig: Zwar drohte ihm von dort keine Auslieferung in die USA, weil seine Delikte in der Schweiz nicht strafbar sind; doch ins Ausland konnte er kaum noch reisen, ohne eine Abschiebung befürchten zu müssen. Nun ist Rich auch diese Sorge los. Das Boulevard-Blatt Blick kommentierte am Donnerstag, die Schweizer Freunde Marc Richs hätten "mit ihrer Hilfe für den mächtigen Freund das Vertrauen der gewöhnlichen Leute in den Rechtsstaat erschüttert. Ganz nach dem Vorurteil: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. 2. 2001)