Wien - "Wir haben zeigen können, dass ein bestimmtes Gen bzw. sein Fehlen für die Ausbildung einer häufigen Leukämie - der myeloischen - verantwortlich ist", berichtet Molekularbiologe Erwin Wagner (Institut für molekulare Pathologie, IMP, Wien) dem STANDARD, "allerdings haben wir das an Mäusen gezeigt. Die große Frage ist nun, ob dieses Gen auch bei Menschen eine so zentrale Rolle spielt." Das Gen - junB - gehört zu einer Genfamilie, die sowohl für die Embryonalentwicklung wichtig ist wie auch später darüber entscheidet, ob Zellen sich ausdifferenzieren oder teilen. Beides muss im Gleichgewicht stehen: Teilen sich Zellen zu sehr, werden sie Tumorzellen. Und für dieses Außerkontrollegeraten machte man bisher die Genfamilie verantwortlich. "JunB macht unerwarteterweise das gerade Gegenteil, es wirkt als Tumorsuppressor, als Bremse, die dafür sorgt, dass die Zellen sich differenzieren und nicht teilen", erklärt Wagner, der Mäuse und Mauszellen konstruiert hat, in denen das Gen fehlt (junB), und zwar in Vorläuferzellen jener weißen Blutzellen, die von der Leukämie angegriffen werden: "Nach drei bis vier Wochen gibt es eine gesteigerte Zellteilung, Hyperproliferation", berichtet Wagner, "nach weiteren vier Monaten metastasieren die Zellen und gehen in andere Organe." Dass das kausal an dem einen Gen liegt, kann Wagner dadurch zeigen, dass er Zellen erst das Gen wegnimmt und es ihnen später, nach Ausbruch des Tumors, wieder zurückgibt: "Dann werden die Zellen arretiert, ihre Teilung verlangsamt sich wieder auf normales Maß." All das an der Maus. Dass Wagner überhaupt die Krankheit an ihrem Modell durchspielen kann, gelang ihm mit vielen genetischen Tricks, bisherige Versuche haben es nicht geschafft. Aber wie weit man von der Maus auf Menschen schließen kann - auch wir haben junB -, steht dahin: "Man muss dem Befund am Menschen nachgehen." Umgekehrt kann man das Modell Maus aber auch doppelt nutzen: Man kann potenzielle Therapeutika gegen die Leukämie durchspielen, und man kann analysieren, ob auch andere Tumore mit junB zusammenhängen. Schließlich hat Wagners Befund Bedeutung auch für den Streit, der derzeit unter Tumorforschern eskaliert: ob Tumore durch mutierte Gene entstehen oder durch falsch verteilte Chromosomen. Zumindest bei der myeloischen Leukämie ist es das Gen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. 2. 2001).