Die Regierung beabsichtigt, Hans Sallmutter als Präsidenten des Hauptverbands der Sozialversicherungen abzusetzen (samt seinen Stellvertretern) - mit dem "Haupt"-Argument, er sei "reformunwillig" und deshalb für das Defizit in der Krankenversicherung verantwortlich (es wird heuer rund fünf Mrd. Schilling betragen). Diese Begründung ist dann stichhaltig, wenn der Hauptverband in der Lage gewesen wäre, das Defizit eigenständig einzudämmen. Dies trifft aber nicht zu.

Die Beitragssätze zur sozialen Krankenversicherung und ihr Leistungskatalog sind gesetzlich geregelt, die Entwicklung ihrer Einnahmen und des überwältigenden Teils der Ausgaben können daher nur vom Gesetzgeber gesteuert werden. Seit einem Jahr hätte also die Parlamentsmehrheit von ÖVP und FPÖ für eine nachhaltige Verbesserung der Finanzlage in der Krankenversicherung sorgen können - tat es aber nicht, obwohl klar war, dass Einzelmaßnahmen wie höhere Rezeptgebühren oder Selbstbehalte nicht ausreichen.

Die Untätigkeit der Regierung ist deshalb bemerkenswert, weil sie gleichzeitig große Anstrengungen unternahm, bis 2002 ein Nulldefizit zu erreichen. Das Defizit des Staates und jenes einer der wichtigsten sozialen Institutionen wurden mit zweierlei Maß bewertet. Dieses Verhalten nährt den Verdacht, dass die Regierung den Anstieg des Defizits der Krankenkassen in Kauf nahm, um dieses Problem dann politisch zu verwerten. Kurzfristig dient es als Argument für eine Enthebung von Sallmutter und Co., längerfristig als Begründung für einen Übergang von der solidarischen Pflichtversicherung zur entsolidarisierenden Versicherungspflicht.

Mehr privat, weniger Staat?

Hans Sallmutter wird von der Regierung für das Defizit in der Krankenversicherung (mit)verantwortlich gemacht, indem sie ihm vorwirft, dass er mangels "Reformwilligkeit" es verabsäumt habe, den Verwaltungsaufwand zu senken. Dieser beträgt 3,6 Prozent des Gesamtbudgets der Krankenkassen und liegt demnach bei 5 Mrd. S. Selbst wenn er um 20 Prozent gesenkt werden könnte, würde dies das Defizit nur um eine Mrd. S reduzieren.

Um den Rationalisierungsspielraum abzuschätzen, soll der Verwaltungsaufwand der sozialen Krankenkassen in Österreich mit jenem in anderen Ländern verglichen werden ("benchmarking"). Dieser liegt in Deutschland bei 4,6 %, in Belgien bei 4,9 %, in Frankreich bei 4,3 %, in Holland bei 4,8 % und in der Schweiz bei 9,0 %. Lediglich in Schweden ist er mit 2,3 % niedriger als in Österreich. Dieser Vergleich verdeutlicht, dass es mit der Effizienz der österreichischen Krankenversicherung nicht so schlecht bestellt sein kann.

Gerade für eine Regierung, die dem Motto "Mehr privat, weniger Staat" folgt, ist auch ein Vergleich des Verwaltungsaufwands zwischen der sozialen und der privaten Krankenversicherung aufschlussreich: Letzterer liegt in Österreich bei 9 % und ist damit mehr als doppelt so hoch wie in der sozialen Krankenversicherung. Bei den privaten Versicherern kommen überdies noch die Kosten für Werbung und Vertrieb hinzu, sodass insgesamt nur etwa 70 % des Prämienaufkommens als Leistungen an die Versicherten zurückfließen (in der sozialen Krankenversicherung sind es etwa 96 %).

Dieser Vergleich ist auch im Hinblick auf einen Übergang von der sozialen Pflichtversicherung zur privaten Versicherungspflicht relevant (in diesem Fall steht es dem Einzelnen frei, wo er sich versichern lassen will). Ein solcher Übergang macht dann keinen Sinn, wenn eine einheitliche Gesundheitsversorgung für alle gewährleistet werden soll. Denn bei gleichem Leistungsvolumen und einheitlichen Beitragssätzen kann sich die Marktkonkurrenz nicht entfalten, vielmehr erhöhen sich die Kosten durch die im Vergleich zur Sozialversicherung höheren Verwaltungskosten und insbesondere durch den Werbeaufwand. Wird aber Leistungs- und Beitragsdifferenzierung zugelassen, so werden Personen mit höherem Krankheits- und Unfallrisiko wie Arbeiter mehr zu zahlen haben als etwa höhere Angestellte, die insgesamt höheren Kosten sind dann mit einem Prozess der Entsolidarisierung verknüpft.

Dass das Prinzip "Mehr privat, weniger Staat" im Bereich des Gesundheitswesens keine Gültigkeit hat, macht ein Vergleich mit den USA deutlich: Dort sind die Gesundheitsausgaben mehr als doppelt so hoch wie in Österreich oder auch in der EU, gleichzeitig ist aber die Gesundheitsversorgung für die meisten Bürger in den USA schlechter.

Dass Sallmutter nicht für das Defizit der Krankenversicherung in Österreich verantwortlich gemacht werden kann, zeigt nicht nur ihre hohe Effizienz im internationalen Vergleich, sondern ergibt sich auch daraus, dass Sallmutter die Regierung immer wieder auf den vom Hauptverband nicht (nennenswert) steuerbaren Defizitanstieg aufmerksam machte und nachhaltige Konsolidierungsmaßnahmen einforderte. Dennoch richtet sich das Vorgehen der Regierung spezifisch gegen Sallmutter selbst, einen anderen Sozialdemokraten würde sie ja als Präsidenten des Hauptverbands akzeptieren.

Vordergrund und Hintergrund

Dabei kalkuliert die Regierung mit folgenden "Spielzügen": Mit ihrem eigenen Verhalten gegen Sallmutter stellt sie sicher, dass sich kein anderer Sozialdemokrat dazu bereit finden wird. Dies wird man dann zum Anlass nehmen, das Präsidium "notgedrungen" mit schwarz-blauen Vertretern zu bestellen. Dann könnte auch in der entscheidenden Verbandskonferenz des Hauptverbandes eine Mehrheit der Regierungsparteien erreicht werden.

Vordergründig erscheint das Vorgehen gegen Sallmutter als eine persönliche Kontroverse, im Kontext der bisherigen Regierungspolitik dürfte es jedoch eine weitere Etappe auf dem Weg zu einer Teilprivatisierung der Sozialversicherung darstellen (im Gesundheits- wie im Pensionssystem). Dieser Umbau wird die meisten Bürger teu(r)er zu stehen kommen und ihren sozialen Zusammenhalt (weiter) schwächen.

Stephan Schulmeister ist Wirtschaftsforscher in Wien.