Jeszcze Polska nie zginela... "Noch ist Polen nicht verloren/In uns lebt sein Glück/ Was an Obmacht ging verloren/ bringt das Schwert zurück..." Die polnische Hymne entstand, als Polen tatsächlich verloren schien - nämlich 1797 in der von Napoleon Bonaparte in Italien aufgestellten Polnischen Legion. Sie wurde aus Geflüchteten gebildet, die wegen der in den Jahren zuvor erfolgten Aufteilung des Königreichs Polen unter Russland, Preußen und Österreich ihre Heimat verlassen hatten. Der militärische Glanz der Türkensiege König Jan Sobieskis konnte über die innere Brüchigkeit des polnischen Staatswesens nicht hinwegtäuschen. Formell Königreich, war Polen längst zu einer Adelsrepublik geworden, in der die uneingeschränkte Ausübung der politischen Rechte der Szlachta zur ständigen Einmischung äußerer Mächte geführt hatte. Schon seit 1652 wurde im polnischen Reichstag, dem Sejm, das "liberum veto" praktiziert, das jedem Einzelnen der durchwegs adeligen Abgeordneten die Möglichkeit gab, durch sein "Ich verbiete" nicht nur einen Beschluss zu verhindern, sondern damit alle Beschlüsse der jeweiligen Session ungültig zu machen. Ebenso wenig war der Sejm an die Königswahl aus einer Dynastie gebunden. Frankreich, Österreich und Russland nahmen immer stärker Einfluss auf die polnischen Regierungen. Die von Habsburg protegierten Könige von Sachsen erhielten die polnische Krone, zum Ausgleich musste Maria Theresias Mann Franz Stephan sein Stammland Lothringen an Frankreichs Schützling Stanislaw Leszczynski abtreten (und erhielt dafür die Toskana). Übermächtig wurde schließlich der Einfluss der Zarin Katharina II., die ihren Günstling Stanislaw Poniatowski auf den Thron setzte, einen gebildeten Vertreter der Aufklärung, der sich aber dem russischen Einfluss nicht entziehen konnte. 1770 beanspruchten die Österreicher im Namen Ungarns die Zips (heute Slowakei) und besetzten sie. Das brachte Russland und Preußen auf den Geschmack. Katharina II. und Friedrich II. einigten sich 1772 darauf, Polen in seinen Grenzen zu beschneiden, und an dieser ersten polnischen Teilung wurde auch das sich zunächst dagegen sträubende Österreich beteiligt ("Elle pleure, mais elle prend", sie weint, aber sie nimmt, sagte der zynische Alte Fritz über Maria Theresia). Österreich bekam Galizien (noch ohne Krakau), Preußen stellte die Landbrücke zu Ostpreußen durch die Angliederung von Pommerellen/Westpreußen und Ermland her - Danzig blieb noch eine polnische Enklave, Russland begnügte sich vorerst mit einem breiten Grenzstreifen in Weißrussland. Der Schock der Teilung bewirkte einen Reformschub; in der ersten geschriebenen Verfassung Europas behielt der Adel zwar seine Privilegien, doch wurden "liberum veto" und freie Königswahl abgeschafft, und den Bürgern wurden Zugeständnisse gemacht. Besonders reaktionäre Teile des Adels, von Katharina II. angestachelt, rebellierten dagegen, und den Bürgerkrieg nahmen Russland und Preußen 1793 zum Anlass der zweiten Teilung: Preußen verleibte sich die Region Großpolen (Posen mit dem ganzen Einzugsgebiet des Flusses Warthe) ein, Russland umfangreiche ukrainische und weißrussische Gebiete. Polen war nun kein lebensfähiger Staat mehr. Ein Aufstand unter Führung von Tadeusz Kosciuszko wurde niedergeschlagen, und die Teilungsmächte annektierten 1795 den Rest: Preußen das Gebiet zwischen Warschau und Bialystok als "Neu-Ostpreußen", Österreich Krakau und ein bis vor die Tore Warschaus reichendes "Westgalizien", Russland den großen Rest von Kurland bis Wolhynien. Die nun folgende Ära Napoleons, der eine "Polnische Legion" aufstellte, gab den Polen neue Hoffnung; zur bitteren Enttäuschung wurde, dass der Franzosenkaiser die Legion nicht zur Befreiung ihrer Heimat, sondern gegen den Kolonialaufstand auf Haiti einsetzte. Um Preußen zu schwächen, wurde zwar das Großherzogtum Warschau ins Leben gerufen, aber wieder dem König von Sachsen unterstellt. Neue Hoffnungen der Polen, die für den Russlandfeldzug Napoleons 100.000 Mann zur Verfügungen stellten, endeten mit dem Debakel der "Grande Armée". Der Wiener Kongress sah die Lösung der "polnischen Frage" in einer neuen Aufteilung des Landes. Russland erhielt nun auch große Teile des 1792 Preußen zugesprochenen kernpolnischen Gebiets mit Warschau als Zentrum, formell ein "Königreich Polen", doch mit dem Zarenreich in Personalunion verbunden. Einzig Krakau sollte als Freie Stadt souverän bleiben. Hier und in der Emigration, die vor allem in Frankreich agierte, entwickelte sich der Geist des Widerstands mit dem Ziel der Wiedererlangung der staatlichen Freiheit. Daran hatten nicht nur die nationalbewussten Adelskreise, sondern auch die Dichter ihren Anteil: Das Dreigestirn der polnischen romantischen Literatur, Mickiewicz, Krasinski und Slowacki, steht an der Spitze der Literatur, die dem seines Staats beraubten Volk seine nationale Einheit bewahren half. Die vor allem im russischen "Kongresspolen" entstehenden Geheimorganisationen bereiteten den Aufstand vor. 1830/31, im Gefolge der Revolutionswelle in Frankreich und Belgien, schlug ein Aufruhr, der vor allem von den Soldaten der polnischen Verbände der Zarenarmee getragen wurde, fehl. In den folgenden Jahren konzentrierte sich der Freiheitskampf auf die unter österreichischer und preußischer Herrschaft stehenden Gebiete. Als Verschwörer im freien Krakau eine polnische Nationalregierung vorbereiteten, marschierten österreichische Truppen am 18. Februar 1846 in der Stadt ein. Zwar gelang es der Aufstandsbewegung, sie vorübergehend zu vertreiben, doch das Regime Metternichs nützte die tief gehenden Interessengegensätze zwischen dem Adel und den noch immer unfreien Bauern: Diesen wurde freie Hand gelassen, sich gegen die Gutsbesitzer zu erheben, in einem wilden Aufstand zerstörten die Bauern Hunderte adelige Gutshöfe, bis die habsburgischen Behörden Angst vor den Ausmaßen der Rache bekamen, die die durch Generationen Geschundenen nahmen, und Militär einsetzten. Krakau wurde dem österreichischen Galizien einverleibt. Im Gefolge der Revolution von 1848 in Berlin kam es im Gebiet von Posen zu nationalpolnischen Unruhen; auch sie wurden rasch unterdrückt. Vergeblich bemühte sich die polnische Emigration in den westeuropäischen Hauptstädten, die Mächte dafür zu gewinnen, auf Russland einzuwirken, von der seit 1830 zunehmenden Unterdrückung der Polen abzulassen. Als im Jänner 1863 polnische Rekruten zur russischen Armee eingezogen werden sollten, brach der Aufstand in Warschau los. An dessen Führung waren nun nicht mehr nur Adelige, sondern auch Bürgerliche beteiligt. Am 22. Jänner rief eine "Provisorische Nationalregierung" das ganze Volk, "das gestern Büßer und Rächer war und morgen Held und Riese sein wird", zum Widerstand auf. Etliche russische Garnisonen wurden im Handstreich genommen. Allerdings hatten die Aufständischen kein klares Programm für die Bauernbefreiung, deshalb blieb eine breite Unterstützung auf dem Land aus. Durch den Gegenangriff der Zarentruppen geriet der Aufstand immer mehr zu einem Verzweiflungskampf. In Warschau wurde Romuald Traugutt zum Diktator ausgerufen; er versuchte die Russen mit Partisanentaktik zu bekämpfen. Als ein Ukas des Zaren die Aufhebung der Leibeigenschaft in Kongresspolen verkündete, fielen viele vom Aufstand ab. Die russische Armee überzog das Land mit Terror. Traugutt und andere Rädelsführer wurden gehenkt. Kongresspolen wurde als "Gouvernement Warschau" völlig in das russische Imperium einbezogen. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe, 3./4. 2. 2001).