Die Franzosen sind derzeit die Outcasts der Türkei. Taxifahrer weigern sich, sie mitzunehmen, Aufträge in Milliardenhöhe für französische Firmen werden storniert, türkische Universitäten haben ihre Kontakte zu französischen Partneranstalten eingestellt, die türkische Regierung sieht sogar die "Stabilität und Sicherheit der Region gefährdet". Auslöser für die Missstimmung ist eine simple Feststellung, die bei den Historikern unbestritten ist und die das französische Parlament in Gesetzesform beschlossen hat: Die Vertreibung und Deportation von 1,8 Millionen Armeniern 1915/16 war Völkermord. Die exzessive türkische Reaktion belastet die Beziehung zu Europa. Die Staats- und Regierungschefs haben beim EU-Gipfel von Helsinki 1999 dem Land am Bosporus den erwünschten Kandidatenstatus zuerkannt, doch seither hat sich das Verhältnis eher verschlechtert. Die Türkei widersetzt sich der Vereinbarung, dass die schnelle Eingreiftruppe der EU auf Planung und auf militärisches Gerät der Nato zurückgreifen kann. Sie nutzt ihre Nato-Mitgliedschaft als Hebel, um eine Art Teilmitgliedschaft in der EU zu erzwingen. Einen ähnlichen Druck übt sie bei den Beitrittsverhandlungen für Zypern aus. Kürzlich wurde in brutalster Weise der Hungerstreik in türkischen Gefängnissen niedergeschlagen. Zu den Menschenrechtsthemen kommen ungelöste Probleme wie die Kurdenfrage, die Abschaffung der Todesstrafe und die autoritäre Gesellschaftsstruktur. Die Türkei will zwar EU-Mitglied werden, aber nicht um jeden Preis, sondern zu eigenen Bedingungen. Das kann die Union so nicht akzeptieren. In der Erfüllung der EU-Kriterien hat die Regierung in Ankara bisher nichts Substanzielles zustande gebracht. Rasche Beitrittsverhandlungen werden unwahrscheinlicher. Aber die Türkei braucht die EU und Europa die Türkei. Eine Alternative ist die Bildung einer Partnerschaft, ein Sonderverhältnis. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 2. 2001)