Kairo/Tripolis - Der Schuldspruch im Lockerbie-Prozess hat Libyens Revolutionsführer Muammar Gaddafi innenpolitisch unter Druck gesetzt. Am Montag will der 58-Jährige die Flucht nach vorn antreten und nach eigenen Worten "Beweise" vorlegen, dass der zu lebenslanger Haft verurteilte Abdel Bassit Megrahi (48) unschuldig ist. Die Frage bleibt, warum dies die Anwälte nicht schon während der vergangenen neun Monate im Prozess von Kamp Zeist (Niederlande) getan haben. Die organisierten Protestdemonstrationen am Wochenende, bei denen sich in Tripolis Demonstranten mit Rasierklingen und Messern selbst verletzten, zeigen, dass das Urteil nicht spurlos an vielen Libyern vorbeigegangen ist. Jahrelang waren sie von der Unschuld der beiden Angeklagten felsenfest überzeugt. Der freigelassene Mitangeklagte Amin Khalifa Fuheima (44) hielt auch bei seiner Rückkehr an der libyschen Unschuldsversion fest und sagte, es habe in Kamp Zeist "unübliche Vorkommnisse und Druck" gegeben. Keine Auslieferung eigener Staatsangehöriger Der Schuldspruch nach einem Indizienprozess stellt Gaddafi vor neue Probleme. Schon werfen wütende libysche Demonstranten dem Außenministerium vor, nicht alles für Megrahi getan zu haben. Der Verurteilte gehört dem Maqarha-Stamm an, dem größten Libyens. Lange hätten sich die politisch Einflussreichen der Maqarha überhaupt gegen die Auslieferung gewehrt, hieß es immer wieder in Tripolis. Nach jahrelangem Gerangel schließlich stimmten sie dem Präzedenzfall zu. Nach libyschem Recht darf kein eigener Staatsangehöriger zu Verfahren ins Ausland ausgeliefert werden. Jetzt wollen sie Megrahi zurück. Mit der Auslieferung und dem Verfahren in Kamp Zeist (Niederlande) würden die UNO-Sanktionen endgültig aufgehoben, hieß es immer in der internen Argumentation. Aber beim Fall der Sanktionen kann Gaddafi nicht auf das schnelle Ende hoffen, weil das Berufungsverfahren Megrahis sowie der Streit über die Höhe der Entschädigungen für die Hinterbliebenen der Opfer im Raum stehen. "Langer Weg" Dabei ist Gaddafi nach Darstellung von Diplomaten einen "langen Weg" für den Fall der Sanktionen gegangen. Er lieferte entgegen dem Landesrecht Megrahi und Fuheima aus. Seine Sicherheitskräfte gingen gegen islamische Fundamentalisten mit aller Härte vor, und Ausbildungslager für militante Gruppen wurden geschlossen. Gaddafi mäßigte seine Rhetorik gegenüber den USA und bot sich als Vermittler in Krisen und bei Geiselbefreiungen an. Seit dem Lockerbie-Attentat vom Dezember 1988 konzentrierten sich die Verdächtigungen auf vier Szenarien. Danach soll entweder die von Syrien unterstützte Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP-GC) oder der Iran dahinter stecken - als Vergeltung für den Abschuss eines iranischen Verkehrsflugzeuges mit 290 Personen an Bord durch die US-Marine. Nach anderer Theorie übte Libyen Rache für die Angriffe der US-Luftwaffe von 1986 auf Tripolis. Schließlich soll der US-Geheimdienst CIA Drahtzieher gewesen sein, um illegale Drogengeschäfte zu vertuschen. Washington hat dies stets bestritten. (dpa)