So werden Heldenstorys geschrieben: Mutiges TV-Team bekommt von machtgieriger Politiker-Clique neuen Chef vorgesetzt, wehrt sich, mobilisiert die Massen, und am Ende stürzt nicht nur der Chef, sondern auch gleich das ganze politische System. Der "Fernseh-Aufstand", schreibt Ex-Havel-Berater Jirí Pehe im STANDARD (20. 1.), markiere das Wiedererwachen einer Zivilgesellschaft in Tschechien, die vor zehn Jahren zugunsten der Parteien auf ihren öffentlichen Raum habe verzichten müssen. Man kann es auch prosaischer sehen: Ein ganz normaler Arbeitskonflikt wurde von Redakteuren zum Kampf um die Meinungsfreiheit stilisiert. Es gelang ihnen, mit einer emotionellen Kampagne einen Teil der Öffentlichkeit zu mobilisieren, sie produzierten als Nachrichten getarnte Belangsendungen in eigener Sache, und um die Welt gingen Bilder von Demonstrationen am Wenzelsplatz, die (beabsichtigte) Assoziationen an das Jahr 1989 weckten. Tatsächlich war der daraufhin geschasste TV-Chef keineswegs jener enge Vertrauensmann von ODS-Chef Václav Klaus, als der er der (Welt-)Öffentlichkeit präsentiert wurde, sondern ein überstürzt gewählter Kompromisskandidat; und die Redakteure nicht nur vom reinen Idealismus erfüllt, sondern ebenso von der Sorge um ihren Einfluss im tschechischen öffentlichen Fernsehen, das wegen seiner undurchsichtiger Finanzgebarung und dem überdimensioniertem Apparat schon lange zum Problemfall geworden war. Dazu kommt, dass die streikenden Redakteure bis jetzt keinesfalls unabhängig von der Parteipolitik agierten, sondern in den von ihnen produzierten News-Sendungen und Magazinen eine deutliche Sympathie für das eng mit Havel kooperierende Parteienbündnis kaum verbergen konnten. Havel hat diese Runde im Machtkampf mit Expremier Klaus tatsächlich vorerst für sich entschieden, das Ablaufdatum für den ihm verhassten "Oppositionsvertrag" zwischen den regierenden Sozialdemokraten und der ODS ist näher gerückt: Fielen alle jene politischen Parteien, die dem Präsidenten nahe standen, bei den tschechischen Wahlen seit 1992 durch, so gibt es nunmehr zum ersten Mal eine Gruppe mit Aussicht auf Erfolg. Ob dieser unter dem Vorwand des Kampfes um Meinungsfreiheit und "wahre" Demokratie ausgetragene Machtstreit aber das von Pehe beschworene Erwachen der Zivilgesellschaft darstellt, erscheint zweifelhaft. Niklas Perzi, Kulturmanager und Historiker, pendelt zwischen der Waldviertel Akademie, Wien und Prag (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.2.2001)