Wiewohl Amerika den Beginn einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik offiziell begrüßt, gab und gibt es immer wieder Anzeichen einer US-amerikanischen Nervosität hinsichtlich der Natur dieses Prozesses. Die Amerikaner fragen oft, ob es dabei tatsächlich um eine Verbesserung der europäischen Verteidigungsfähigkeit geht - was gut für die Nato wäre - oder nicht auch oder vor allem um die europäische Integration.

Meine Antwort ist, dass es um beides geht und dass Washington beides unterstützen sollte. Bei nüchterner Einschätzung dieses Prozesses 1 punkt **** komme ich zu dem Schluss, dass nicht, wie einige glauben, eine Entbindung Amerikas vom europäischen Engagement,sondern ein fähigeres und vereinigtes Europa zu einer effektiveren atlantischen Allianz führen wird.

Nato "europäisieren"

Die EU hat nicht ein Duplikat von Nato-Strukturen oder eine Alternative zur atlantischen Allianz zum Ziel. Die EU bereitet sich darauf vor, bei Krisen in und um Europa zu handeln - entweder gemeinsam mit US-amerikanischen oder ausschließlich mit europäischen Streitkräften, falls die Nato als Ganzes entscheidet, nicht einzugreifen. Dabei geht es um mehr als Verteidigung - die weiterhin in den Händen der Nato konzentriert bleiben wird -, sondern vielmehr darum, dass Europa sich in der Funktion eines regionalen Stabilisators profiliert: eine Rolle, die die EU-Erweiterung um Kandidatenländer in Mittel- und Osteuropa noch verstärken wird. Denn im Gegensatz zu dem, was oft im amerikanischen Kongress gesagt wird, trägt Europa bereits den Löwenanteil der Friedenssicherungslast auf dem Balkan.

Falls Europas außen- und verteidigungspolitische Maßnahmen erfolgreich sind, sollte die Nato europäischer werden. Darüber bräuchte sich Washington jedoch keine Sorgen machen: Wenn die Europäer die Allianz als eine eher europäische Organisation ansehen, wird wahrscheinlich auch ihre Bereitschaft größer sein, zu ihrem Erfolg (auch in finanzieller Hinsicht) selbst beizutragen.

Eine ähnliche Logik der Partnerschaft findet bei der Erweiterung Anwendung. Das Konzept Europa ist nicht unveränderlich, und dies mit Recht. Auf der Grundlage eines weit gefassten Verständnisses von Sicherheit und Stabilität ist die Erweiterung genauso wichtig wie eine Vertiefung der EU. Hierbei würde eine gemeinsame transatlantische Herangehensweise sowohl bei der EU- als auch bei der Nato-Erweiterung die Stabilisierung und Integration im Europa des überwundenen Kalten Krieges verstärken - zum Vorteil aller.

Eine neue und funktionale Arbeitsteilung zwischen Europäern und Amerikanern ist daher vorstellbar, vorausgesetzt, der Rahmen eines gemeinsamen politischen Engagements und einer geteilten Verantwortung wird beibehalten. Was hingegen nicht betrieben werden sollte, ist eine rigide vertikale und künstliche Arbeitsteilung, bei der die USA den alleinigen globalen Führer spielen (mit Europa sozusagen im "Schlepptau"), während sich die EU ausschließlich auf die Erweiterung ihres "Hauses" konzentriert. Dies wäre ungesund und würde die transatlantische Verbindung unhaltbar machen.

Offene Partnerschaft

Das Gegenmittel besteht in einer ernsthaften Beteiligung an Alternativen und Entscheidungen. Wenn umstrittene Entscheidungen getroffen werden müssen, erfordert eine gesunde Partnerschaft, dass sie offen und ehrlich diskutiert werden. Ein Beispiel dafür ist das Problem der nationalen Raketenabwehr (National Missile Defense). Welche Politik auch immer die Bush-Administration einschlagen wird - europäische Vorbehalte und Zweifel sollten hinreichend berücksichtigt werden.

Falls die Europäer darauf Einfluss nehmen wollen, müssen sie allerdings eine einheitliche Rolle spielen, indem sie, sagen wir einmal, Amerika zu einer Aktualisierung des ABM-Vertrags mit dem Einverständnis Moskaus ermutigen. Dies würde die strategische Stabilität fördern, einer Verstimmung Russlands vorbeugen und zudem eine Verschlechterung des Sicherheitsklimas in Asien verhindern.

Gleiches gilt für den Umgang mit den so genannten "Schurkenstaaten": Auch hier könnte eine bessere Abstimmung der US-amerikanischen und europäischen Strategien zu einer wirkungsvolleren Herangehensweise führen, basierend auf einer Mischung aus Engagement und Entschlossenheit.

Öknomische Aspekte

Eine neue Verteilung der Arbeit und der Verantwortlichkeiten hängt von der Wirtschaft genau so sehr ab wie von der Sicherheit. Ein stabiler Euro macht eine stärkere Zusammenarbeit möglich und wünschenswert: nicht nur, um eine globale finanzielle Instabilität zu verhindern, sondern auch, um das Risiko zu vermeiden, dass Währungsblöcke in Konflikt miteinander geraten. Unter der Voraussetzung, dass die Bush-Administration pragmatisch eine stärkere Handelsliberalisierung betreibt, werden wir die transatlantische Marktintegration vertiefen können, die als Motor für unsere Ökonomien wirken wird.

Es wird dann auch Spielraum geben, um die Welthandelsorganisation (WHO) wiederzubeleben, für die ein starkes europäisch-amerikanisches Engagement eine notwendige Voraussetzung, obgleich keine umfassende Lösung darstellt. Eine ernsthafte Neubewertung unserer Verhandlungstaktik und unserer alten Gewohnheiten ist notwendig. Die WHO wie auch Währungsfonds und Weltbank müssen Verständnis für die sich entwickelnden Bedürfnisse jener Gesellschaften aufbringen, die am stärksten durch die Folgen der Globalisierung verwundbar sind.

Wir müssen dem Rest der Welt auf eine offenere und überzeugendere Art und Weise die Hand entgegenstrecken. Der G-8-Zusammenschluss, dem Italien dieses Jahr vorsitzt, kann dafür ein Testfall sein. Eine wiederbelebte europäisch-amerikanische Partnerschaft, die auf unseren jeweiligen Methoden und Instrumenten bei der Außenpolitik beruht, wird jedenfalls beiden Seiten nützen.

Eine stärkere EU ist Amerikas natürlicher Partner und gelegentlicher Konkurrent, aber sicherlich nicht ein Rivale. Es ist die Pflicht der Regierungen auf beiden Seiten des Atlantiks, die jeweilige Öffentlichkeit davon zu überzeugen.

Giuliano Amato ist Regierungschef des Mitte-links-Bündnisses in Italien.
Project Syndicate