Seltsames Aufatmen: Karel van Miert geht, Mario Monti kommt; der neue signalisiert, nicht anders zu denken als der alte Kommissar, und Brüssel hat eindeutig nur vertagt, nicht aber eingelenkt. Was also ist hier gewonnen? Die Frist ist verlängert, das stimmt, aber erstens sind wir hier nicht im "Fliegenden Holländer", und zweitens ist die Staatsanwaltschaft nicht umgestimmt, die Geschworenen sind allmählich müde und die Medien nur wenig bereit, diesem Thema Raum zu geben. Im Grunde sind alle die Sache leid und wären dankbar für eine Entscheidung. Verständlich.

Es ist nämlich alles gesagt. Beide Seiten haben ihre Argumente exzessiv ausgebreitet, niemand kann sagen, dass ihm die Standpunkte aus Brüssel, Frankfurt und Wien nicht hinlänglich erklärt worden seien. Was nicht bedeuten muss, dass eine Seite die andere überzeugt hätte. Hat sie vielmehr ganz offensichtlich nicht. Eine ideale, weil klassische Situation für eine deutliche politische Entscheidung.

Mangelnde Aufklärung

Dabei hat, was die Politiker angeht, die Lobby des Buchhandels ganz gut funktioniert: sie wussten ziemlich bald, was von ihnen erwartet, ja verlangt wurde und haben die nötigen Sätze rasch auswendig gelernt. Gar nicht geklappt hat dagegen die Aufklärung des so genannten Publikums: die meisten können heute noch immer nicht erklären, worum's da eigentlich geht - übrigens auch erstaunlich viele Buchhändler nicht - und die, die's können, interessiert es nicht sehr. Sollte - woran offensichtlich nun kaum noch jemand zweifelt - die Buchpreisbindung endgültig fallen (inkl. juristischem Nachspiel), wird gewiss kein Stöhnen durch's Lesevolk gehen: Bücher - und das sollte man sich ganz entschieden klar machen - sind nämlich für die meisten die, die man kriegt. Die, die man nicht kriegt oder die dann nicht einmal mehr verlegt werden - wer, außer ein paar Autoren und Lektoren, wird sie vermissen, kann sie vermissen?

Dass unsere Literatur verarmen wird: wie oft in Jahrhunderten war das nicht schon der Fall, und wer hat das je wissen wollen und dann tatsächlich gewusst, woran das lag? Wen stört den heute die publizistische Verkümmerung der Lyrik des Essays, des intelligenten Sachbuchs?

Der Buchhandel klagt über den bevorstehenden Verlust all jener Literatur, die er schon längst keinem Vertreter mehr abnimmt. Der Verkauf von Gedichtbüchern (abzüglich der Exemplare für den Autor) nähert sich der Zahl ihrer Rezensionen. Das Interesse der Akteure verlagert sich zunehmend von der Literatur zu den Literaten, vom Buch zum Event, vom Einsatz zum Umsatz. Wer das begriffen hat - an welcher Schaltstelle der Literaturbranche auch immer -, wird ein bisschen länger überleben.

Nahezu alle Beteiligten, außer Brüssel, sind sich darüber einig, dass der gebundene Ladenpreis bleiben sollte. Weil, wenn nicht, dann. Dann was? Dann Ende. Ende von was?

Wie klingt es, wenn man jemandem wirklich ans Leder geht? Seine Existenz radikal bedroht ist, Lebensgefahr besteht?

Anders.

Ich meine also, dass die juristischen Mittel zur Verlängerung der Gnadenfrist scharf gemacht und eingesetzt werden sollen. Die Betroffenen ihre Katastrophenpläne aus der Schublade (wo sie hoffentlich schon lange liegen) ziehen und sie öffentlich machen und miteinander vergleichen. Und dass wir dann anfangen, uns wieder um das zu kümmern, um was es wirklich geht: nicht um Bücher an sich. Sondern um Literatur.
Jochen Jung leitet den Residenz Verlag, Salzburg.