Göttingen - Diesen Augenblick fürchten alle Eltern: Ihr Baby liegt ganz unerwartet tot im Bett, gestorben am Plötzlichen Säuglingstod. Als Auslöser der rund 600 Todesfälle im Jahr diskutieren MedizinerInnen die Bauchlage der Babys, Überwärmung, Infekte sowie Koffein oder Rauchen in der Schwangerschaft. Göttinger WissenschaftlerInnen haben nun Indizien für die Bedeutung eines weiteren, allerdings umstrittenen Risikofaktors gesammelt. Bei der Obduktion von 113 toten Babys seit 1994 wurde in fast jedem dritten Körper das Botulinus-Gift im Darm, Blut oder Leber nachgewiesen. Schon geringste Mengen des von Bakterien produzierten Stoffes können zum Erstickungstod durch Muskellähmungen führen. "Das ist sehr ungewöhnlich. Vor 20 Jahren wurden nur in einem Prozent der Fälle Hinweise auf Botulismus entdeckt", sagt Prof. Klaus-Steffen Saternus, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Göttingen. Diese Zunahme könne nicht allein auf verbesserte Erkennungsmethoden zurückgeführt werden. Kontroverse Diskussion Saternus überprüfte in einem Tierversuch, ob das aus den Baby-Organen entnommene Gift auch wirklich biologisch wirksam ist. Er spritzte Mäusen das Gift und konnte sie in vielen Fällen mit einem Gegengift retten. Die Studie wird allerdings in Fachkreisen kontrovers diskutiert. "Es gibt seit 1978 zu Botulismus und Plötzlichen Kindstod immer wieder Untersuchungen, die zu völlig widersprüchlichen Ergebnissen geführt haben", sagt Thomas Bajanowski von der Rechtsmedizin der Universität Münster. Die Göttinger Resultate seien wissenschaftlich angreifbar, weil eine geeignete Kontrollgruppe fehle. "Es gibt weit über 100 Hypothesen für die Ursachen des Kindstods. Wahrscheinlich liegt immer ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren vor", erklärt der Rechtsmediziner. Bisher nur eine Hypothese In Münster werden in einer vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Langzeitstudie bis 2003/2004 rund 600 gestorbene Säuglinge auf den Plötzlichen Säuglingstod untersucht. Als möglichen Übertragungsweg der Botulismus auslösenden Erreger haben Saternus und der Tiermediziner Prof. Helge Böhnel Komposte und Blumenerden im Verdacht. In zahlreichen Biomüll-Proben wurde das als gefährlich eingestufte Bakterium "Clostridium botulinum" nachgewiesen, das oft als feste Spore überdauert. Es sei bisher nur eine Hypothese, dass die Keimfracht über die Luft aus der Umwelt zu den Kindern gelangt. "Aber wir fragen uns natürlich: Wie kommen die Sporen in die Säuglinge, wenn sie von ihren Müttern voll gestillt wurden und die Babynahrung okay ist", meint der Pathologe. Honig, der die Sporen auch enthalten könne, sei von den Eltern nicht gegeben worden. Clostridien kommen auch in der natürlichen Umgebung wie in Seen, Böden oder im Hausstaub vor. Auch Hühnermist, Schweine- und Rindergülle enthalten die Bakterien. "Wir leben nicht in einer sterilen Umwelt", sagt Szewzyk. Das Umweltbundesamt hat Böhnel nun beauftragt, einen Standardtest zum Nachweis von Botulismus-Erregern im Bio-Kompost zu entwickeln. (dpa)