Bonn/London/Paris - Die israelische Zeitung "Maariv" kommentiert am Mittwoch die Wahl des rechtsgerichteten Oppositionsführers Ariel Sharon zum neuen Ministerpräsidenten: "Sharon wird den erträumten Frieden vielleicht nicht schnell bringen, aber die Lage wird sicherlich kaum schlimmer werden. (...) An eines muss (Palästinenserpräsident Yasser) Arafat sich gewöhnen: Das System, das er gegenüber (dem scheidenden Ministerpräsidenten Ehud) Barak anwandte, wird bei Sharon nicht ziehen. Er verspricht, dass er keine Verhandlungen unter Feuer führen und symmetrische Konzessionen fordern wird. Sharon hat zwar seine Pläne nicht in allen Einzelheiten aufgedeckt, aber die Tatsache, dass er die Möglichkeit eines palästinensischen Staates in Aussicht gestellt hat, beweist, dass er den Weg zum Frieden nicht blockiert. Er könnte viele noch überraschen. In seinem Alter und seiner Position wird er keine Anstrengung sparen, um als Friedensstifter in die Geschichte einzugehen." Die linksliberale israelische Zeitung "Haaretz" hingegen kommentiert: "Sharons erster Auftrag ist es, den Weg der Versöhnung mit den Palästinensern fortzusetzen, den seine Vorgänger vorgezeichnet haben, darunter auch Benjamin Netanyahu, ein Likud-Mann, der das Hebron-Abkommen und das Wye-Abkommen unterzeichnete. Die Notwendigkeit, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu beenden, ist besonders dringlich angesichts der gewalttätigen Wende vor vier Monaten. Sharon kann sich zwischen zwei Alternativen entscheiden: Die Verhandlungen fortzusetzen, die vor zehn Tagen (im ägyptischen Badeort) Taba unterbrochen wurden, und sich um ein Friedensabkommen zu bemühen - oder einen völlig anderen Weg einzuschlagen und damit die düsteren Prophezeiungen seiner Gegner zu erfüllen." Der "General-Anzeiger" (Bonn): "Nun also Sharon. Israels Wähler haben, wenn nicht alles täuscht, den Friedensprozess von Oslo zu Grabe getragen. Die Menschen wollten, wenn sie den Frieden, den Barak ankündigte, nicht bekommen können, wenigstens die Sicherheit, die Sharon im Wahlkampf versprach. Die tief sitzenden Existenzängste zahlreicher Israelis sind durch den Palästinenseraufstand im Westjordanland und im Gaza über Nacht wieder an die Oberfläche geschwemmt worden. Ob die Politik, die Sharon zu betreiben ankündigte, allerdings mehr Sicherheit bringen wird, ist füglich zu bezweifeln. Erste Äußerungen aus der arabischen Welt lassen Gutes jedenfalls nicht erahnen. Bleibt nur zu hoffen, dass die düstere Perspektive sich nicht dadurch noch verschlimmert, dass Sharons Israel auch außerhalb der Region in die politische Isolation gerät." Die konservative britische Zeitung "The Times" (London): "Die Israelis haben für Sharon gestimmt, weil ihnen die unmittelbare Bedrohung ihrer persönlichen Sicherheit wichtiger war als die Fortsetzung eines politischen Dialoges, in dem ein Kompromiss als unmöglich erschien. Sharon ist jedoch klar, dass 70 Prozent der Wähler nach wie vor für eine Fortsetzung der Verhandlungen sind. Die "Oslo-Version" des Friedensprozesses mag auf der Straße gestorben sein, aber eine andere Vereinbarung muss entstehen. Mit der Wahl von Sharon zum Ministerpräsidenten haben die Wähler klar gemacht, dass sie Gewalt weder als Verhandlungstaktik noch als Sicherheitsventil der Palästinenser hinnehmen und dass sie ebenso hart wie ihre Nachbarn sein können. Frieden und Realismus müssen nun miteinander ausgesöhnt werden." Die unabhängige französische Zeitung "Le Monde" (Paris): "Ehud Barak hat es weder geschafft, die Israelis zu überzeugen noch die Palästinenser... Wenn Yasser Arafat von der "Pflicht zum Heiligen Krieg für Jerusalem" spricht, wenn die palästinensischen Medien Tag für Tag, von kriegerischen Bildern unterstützt, zur Fortsetzung der Intifada aufrufen, wenn der israelische Staat dort verteufelt und die Frage nach dem Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge von 1948 als nicht verhandelbar dargestellt wird, dann reagiert Israels Öffentlichkeit ihrerseits - und wählt Sharon. Bei den Israelis ist das Unverständnis ... umso größer, als Ehud Barak den Mut hatte, zahlreiche heimische Tabus zu brechen, um die Verhandlung voran zu bringen: bei den Grenzen des palästinensischen Staates wie auch der Jerusalem-Frage vor allem. Barak mangelte es nicht an historischem Weitblick, sondern an politischem Talent. Sollte sich Sharons Erfolg bestätigen, wäre es der der Demagogie über den Geschichtssinn." Die linksliberale französische Zeitung "Liberation" (Paris): "Kann man mit Ariel Sharon im Sessel des Ministerpräsidenten, doch ohne kohärente Mehrheit in der Knesset sowie nach mehr als vier Monaten mörderischer Krawalle zwischen Israeli und Palästinensern, noch den durch die Osloer Abkommen bestärkten Ausdruck "Friedensprozess" benutzen? Stellt der Ausdruck nicht einen Missbrauch von Sprache und vorgegebenem Optimismus dar, da er ein paralleles Hinarbeiten beider Parteien auf ein gemeinsames Ziel, den Frieden, darstellt? Es sind umso legitimere Fragen, als Sharon den Frieden weit nach hinten geschoben hat, sehr weit vom Imperativ der Sicherheit entfernt - indem er sogar diese beiden Konzepte in Widerspruch stellt, obwohl sie komplementär sein müssten..." Die liberale italienische Zeitung "La Repubblica" (Rom): "Die Wahl von Ariel Sharon war erwartet worden. Aber die Größe seines Sieges überraschte doch. Auch wenn er von den Umfragen vorhergesagt wurde, so rüttelt der Ausgang einer Wahl doch stets auf. Vor allem, wenn der Wille des Volkes eine Wende markiert, mit so großem Impetus den Lauf der Dinge umkehrt. Genau das ist in Israel geschehen. Indem die Israelis massenhaft für den Ex-General stimmten, die auffällige Verkörperung ihrer unnachgiebigsten Impulse, haben sie den Weg zu einer Lösung des Nahost-Dramas noch unwegsamer gemacht. Der neue Ministerpräsident ist ein berüchtigter Superfalke. Sein langes Leben als Militär und Politiker lässt keine Zweifel zu. Deswegen wurde er ja gewählt, und genau deswegen hat die gesamte arabische Welt von Rabat bis Bagdad angesichts der Fernsehbilder des mächtigen Siegers die unmissverständliche Botschaft verstanden." Der bürgerliche "Corriere della Sera" (Mailand): "Ariel Sharon wird Ministerpräsident Israels, aber sein Fest hat einen bitteren Beigeschmack. Es kann dem alten General nicht entgangen sein, dass der Erfolg des Likud das Kind der Angst eines Volkes ist, dass Frustration und Furcht es waren, die viele Stimmzettel ausfüllten, dass es das Sackgassen-Syndrom war, das die Stimmenthaltung schürte. ... Die Israelis wollten an den Urnen ihre Qualen mildern, und der Triumph Sharons macht sie vielleicht sicherer. Kann sein, dass eine Regierung der nationalen Einheit die politische Stabilität garantiert. Kann auch sein, dass Ariel der Falke die Schmach der libanesischen Massaker von Sabra und Shatila vergessen machen will, dass die Regierungsverantwortung ihn nachgiebiger macht und dass die militanten Palästinenser aufhören, ihn als einen maßgeschneiderten Feind für das Gesetz der Kalaschnikow zu betrachten. Aber ... ein von der Angst vor dem Frieden gezeichneter Sieg ist traurig." Die konservative spanische Zeitung "ABC" (Madrid): "Mit Ariel Sharon gewann die Wahlen ein "Falke" mit einer dunklen Vergangenheit voller Tod und Zerstörung. Seine Gegenwart wird durch die zweifelhafte Ehre geprägt, die letzte Intifada ausgelöst zu haben. Israel steht nun vor einer Periode der Ungewissheit. Auf das Land kommen turbulente Zeiten zu, die sich auch unmittelbar auf den Friedensprozess auswirken werden. Es steht zu befürchten, dass der Terrorismus in Nahost eskalieren wird. Der Ausbruch eines offenen Krieges ist allerdings unwahrscheinlich. Daran ist niemandem gelegen. Mittelfristig bringt die Wahl keine Klarheit. Fest steht allein, dass Sharon nur ein Übergangspremier sein wird." Die "Basler Zeitung": "In einer Art Protestvotum haben die Israelis mit geringer Beteiligung Ehud Barak abgewählt und Ariel Sharon zum Regierungschef gekürt: einen Mann von gestern, der sich bisher mehr um Krieg als um Frieden verdient gemacht hat. (...) Als Knesset-Abgeordneter stimmte Sharon gegen jede Friedensvereinbarung - ob mit Ägypten oder den Palästinensern. Optimisten weisen indes darauf hin, dass Sharon das Abkommen mit Ägypten trotzdem loyal mittrug und als Verteidigungsminister 1982 die israelischen Siedlungen im Sinai gewaltsam räumen ließ... Welcher Sharon Israels Regierung in stürmischer Zeit führen wird - Sharon der Falke und Ideologe oder Sharon der Pragmatiker - bleibt abzuwarten. Aber wenn nicht der reale Sharon, so wird allein schon das Feindbild Sharon den israelisch-arabischen Konflikt weiter anheizen." Der niederländische konservative "Telegraaf": "Auch der neue israelische Ministerpräsident wird nicht umhin kommen, weiter über Frieden zu verhandeln. Das erwartet die Welt von ihm. Die Palästinenser, die diesen Falken im Schafspelz über sich herabgerufen haben, müssen mit ihm leben. Aber noch immer liegt ein Friedensvertrag im Nahen Osten weiter in der Ferne denn je. Man kann nur hoffen, dass es allmählich zu Vereinbarungen kommt, die auf beiden Seiten von Vertrauen getragen werden und die schließlich die Grundlage für den Frieden legen können. Krieg und bewaffneter Friede sind keine Lösung." Die niederländische sozialdemokratisch orientierte "Volkskrant": "Mit der Wahl von Ariel Sharon haben die Wähler deutlich gemacht, dass sie Sicherheit und ein Ende der Gewalt wollen. Mit diesem Versprechen ist Sharon in den Wahlkampf gegangen. Der gescheiterte Ministerpräsident Barak hat Frieden versprochen und gewarnt, dass die Entscheidung für Sharon eine Entscheidung für Krieg sei. Die Mehrheit der Wähler glaubt ihm nicht. Er hatte ja auch einen baldigen Frieden versprochen, und von dem ist das Land nun weiter entfernt denn je. (...) Sharon gilt als knochenhart und vor allem als unberechenbar. Im ungünstigsten Fall kann dies zu großen Konflikten in der Region führen. Im günstigsten Fall entpuppt er sich als Pragmatiker, der mit arabischen Gruppen verhandeln kann, weil beide Parteien wissen, dass sie dazu verurteilt sind, miteinander auszukommen." (APA/dpa)