"Klassisch oder Skating", fragt der freundliche Südtiroler in der Wachselstube neben dem Bahnhof von Toblach, und dann verreibt er zwei Lagen von Rohde Violett Hartwachs auf der Lauffläche der Langlaufskier: "Einen schönen Tag noch, und hoffentlich passt's." Es passt. In den Rillen, die die Spurmaschine in den Schnee gefräst hat, findet der Läufer auf den schmalen Kunststofflatten rasch zum Rhythmus: Diagonalschritt, Doppelstockschub - Beine, Arme und Atem sind im Gleichklang. Bald geht es leicht bergauf, rechts unten dampft der Bach, der Abfluss des Toblacher Sees, der zugefroren in der Sonne glänzt. Klassisch oder Skating - eine endlose Debatte beim Langlaufen. Das Skaten mit den kürzeren Brettern, längeren Stöcken und hohen Schuhen erfordert Technik und viel Kondition. Die meisten, die gerade mit ihren Schlittschuhschritten kraftvoll an dem im klassischen Gleitschritt Laufenden vorbeigezogen sind, haben bald eine Atempause nötig. Das ewige Stop and Go ermüdet, und schneller sind auf längeren Strecken nur wenige Skater. Eine solche längere Strecke ist die Loipe von Toblach nach Cortina d'Ampezzo. Sie ist genau 30 Kilometer lang, auf den ersten 15 Kilometern ist ein Höhenunterschied von 300 Metern bergauf zum Scheitelpunkt (1.529 m Seehöhe) hinauf zu überwinden, der die Landesgrenze zwischen Südtirol und Belluno bildet und auf deutsch "Im Gemärk", auf italienisch "Cimabanche" heißt. Von da an geht es bergab - Cortina liegt auf exakt der gleichen Seehöhe wie Toblach (1.210 m). Die Loipe wird regelmäßig gespurt, eine Doppelspur klassisch, dazwischen ein Skating Trail. Nach eineinhalb Stunden kommt der erste landschaftliche Höhepunkt in Sicht. Links, über einem Talschluss stehen, wie riesige Hinkelsteine, die Drei Zinnen, einer der gewaltigsten Felsstöcke der Dolomiten. Es ist Zeit für einen Tee mit Zitrone im Gasthof Dreizinnenblick, ein Drittel der gesamten Strecke ist, wichtiger noch, zwei Drittel des Anstiegs sind geschafft. Und es geht weiter mit klangvollen Bergnamen: dem zerklüfteten Monte Cristallo über dem Dürrensee, der Punta Fiammes mit ihrem leuchtend rötlichen Fels, der Tofana rechts über dem Tal und in der Ferne hinter Cortina den Cinque Torri und dem Monte Pelmo. Die Landschaft macht nur einen Teil des Reizes dieser vielleicht schönsten Langlaufstrecke der Ostalpen aus. Ebenso großartig ist der Verlauf der Loipe auf einer aufgelassenen Bahntrasse: über Brücken, die tiefe, eiszapfenstarrende Schluchten überqueren, durch Tunnels, in die mit den Spurgeräten Schnee gekarrt wurde, und die - spärlich - beleuchtet sind. Und vorbei an ehemaligen Stationsgebäuden - bizarren Zeugen vergangener Technik. Die Station Ospitale ist noch als Ruine eine beeindruckende dreistöckige Trutzburg. Hier überwinterten die Stationswärter und ihre Familien, die ihren Streckenabschnitt täglich kontrollieren mussten. Die Bahnlinie Toblach-Cortina d'Ampezzo, gebaut von 1915 bis 1918, war eine jener Dolomitenstrecken, die österreichische Eisenbahningenieure planten - zur Versorgung der Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg. Anfang der 60er-Jahre war die Strecke unrentabel geworden. Sie wurde stillgelegt. Der Dornröschenschlaf dauerte nur knapp ein Jahrzehnt. Um 1970 wurde das Hochpustertal als El Dorado des Skilanglaufs entdeckt. 200 Kilometer mechanisch gespurte Loipen gibt es dort heute: Innichen-Sexten-Fischleinboden, Niederdorf-Pragser Wildsee, das Gsieser Tal, das Antholzer Tal. Die Königin der Loipen ist freilich Toblach-Cortina. Auf der alten Bahntrasse wird es nie sehr steil. Sportliche Typen mögen die Nase rümpfen, für Durchschnittsläufer, auch mit Familie (Kinder ab 12 Jahren sind nicht überfordert), ist die Tour dagegen ein Genuss. Dabei muss sich niemand unter Stress setzen. Zweieinhalb Stunden für den Anstieg und zwei Stunden für die Abfahrt sind Richtzeiten, bei denen Teepausen in einer der gemütlichen Stuben einkalkuliert sind, ebenso wie ein "Latscheler", das ist ein Sonnenbad in den duftenden Legföhren mit Blick auf die Tofana. Der letzte Kilometer führt über die Kurpromenade von Cortina, vorbei an Damen mit teuren Pelzen und Hunden, zum alten Bahnhof und einer der skurrilsten Bars zwischen Bayern und dem Friaul. Hier sollte man nicht versäumen, in Gesellschaft von alten Skilehrern und anderen ernsthaften Trinkern mit einem Glas Prosecco auf den erlebnisreichen Tag anzustoßen, bevor der Linienbus zurück nach Toblach schaukelt. Tipps zum Nachreisen Anreise:
  • Per Auto: Wien-Südautobahn-Spittal / Drau-Lienz-Sillian-Toblach 522 km. Salzburg-Tauernautobahn-Spittal / Drau- Lienz-Toblach 268 km. Innsbruck-Brennerautobahn-Brixen-Bruneck-Toblach 128 km.
  • Per Bahn: Um Sa und So langlaufen zu können, muss man ab Wien Schlaf- oder Liegewagen nehmen. Wien Wbf. ab Fr 23.25 h, Innsbruck Hbf. an Sa 6.26 h, ab Sa 7.04 h, Toblach an Sa 9.26 h. Toblach ab So 19.29 h, Innsbruck Hbf. an So 21.58 h, ab So 23.33 h, Wien Wbf. an 6.53 h.
  • Langlaufen: Toblach ist das Langlaufzentrum des Südtiroler Hochpustertals. Neben der Königsstrecke nach Cortina d'Ampezzo empfehlen sich Loipen nach Innichen und Sexten oder über Niederdorf zum Pragser Wildsee. Ein mit einer Gästekarte (Lit 8.000 / EURO4,1) verbundenes Skibusservice sorgt für Rücktransporte. Busse Cortina d'Ampezzo-Toblach: tgl. 16h & 16.50 h.
  • Unterkunft: Toblach verfügt über 1100 Hotelbetten, im 4-Sternehotel wie im Gasthof, über Appartements und Privatzimmer. Vorbestellung empfehlenswert. Weitere Infos: Tourismusverein Toblach Tel. 0039 / 0474 / 972132, Fax 972130.

    Horst Christoph ist Kulturjournalist und Freizeitexperte. Zu seinen Aktivitäten gehören u.a. Rad fahren, langlaufen, Skitouren gehen und Kajak fahren.