Jerusalem/Wien - John Bunzl, Nahostexperte vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (ÖIIP), hält sich derzeit in Jerusalem auf und hat die Wahlnacht miterlebt. Die Wahl des Likud-Rechtsaußen Ariel Sharon zum neuen Premierminister wird nicht nur die Verhandlungen mit den Palästinensern zusätzlich belasten, sondern könnte sich auch ungünstig auf Israels gesellschaftliche Probleme auswirken - so seine Prognose. Schon bei den Wahlen 1999 hatte sich das zunehmende Gewicht der religiösen Parteien gegenüber dem weltlichen Lager gezeigt.Standard : Hat der hohe Wahlsieg von Sharon die Spaltung der israelischen Gesellschaft in Religiöse und Säkulare verschärft? John Bunzl : Noch nicht, weil sich Sharon - vielleicht aus taktischen Gründen - sehr versöhnlich gibt und die Arbeiterpartei auffordert, in eine große Koalition einzutreten. Das ist, glaube ich, letztlich ein Erpressungsversuch, um die Arbeiterpartei zu zwingen, seine Politik mitzutragen. Aber 90 Prozent der Ultraorthodoxen haben Sharon gewählt - das ist wohl wahr -, ebenso die Gruppe der russischen Einwanderer, und bei der Unterschicht der orientalischen Juden herrscht Schadenfreude. "Endlich geht Barak in Pension", hieß es heute zum Beispiel auf dem Markt. Standard : Wie sehr sind denn Israels innere Probleme durch den Aufstand der Palästinenser überdeckt? Bunzl : Diese Zerrissenheit ist nach wie vor ein Thema, und sie wird noch tiefer werden, wenn sich nach einiger Zeit herausstellt, dass Sharon keine praktikable Alternative zu Barak ist, dass die Gewalt weitergeht und vielleicht internationale Schwierigkeiten dazu kommen. Die unwahrscheinlichste Variante ist ja, dass sich Sharon sozusagen rehabilitieren will und als Friedensmacher in die Geschichte eingeht. Standard : Das halten Sie für ausgeschlossen? Bunzl : Das halte ich für ganz unwahrscheinlich. Das ist "wishful thinking". Die Arbeiterpartei hat bisher kein Signal gesetzt, dass sie mit Sharon eine Koalition bilden will, und es ist anzunehmen, dass er eben eine extrem rechte Koalition bilden muss. Standard : Was ist Sharon für ein Politiker? Bunzl : Ein säkularer Nationalist. Ein rechtsgerichteter säkularer Nationalist und Militarist. Standard : Was werden die Palästinenser nun unternehmen? Wird der Pragmatismus siegen? Bunzl : Es gibt ja zweierlei Aussagen. Das Establishment um Arafat und seine Sprecher haben erklärt, sie wären bereit, mit Sharon die Verhandlungen weiterzuführen, allerdings an dem Punkt, wo sie unterbrochen wurden. Die Stimmen an der Basis dagegen sagen: Die Intifada geht weiter. Standard : Und wer setzt sich dort durch? Bunzl : Beide - wie immer. (Interview: Markus Bernath, DER STANDARD, Printausgabe 8.1.2001)